XVIII.
DIE "DORNENKRÖNUNG". 581
ausser Acht gelassen hat, dass die Alten sich im Kreise bestimmter
auserwählter Typen sowohl der Formbildung als der Geberden
bewegten. So wird seine Wahrheit zur Drastik, ja sie geht bis
hart an die Grenzen der Rohheit. Besonders tritt dies hervor in
den Einzelheiten der Hände, Füsse und Knöchel. Dennoch liegt
etwas so Grossartiges in dem energischen Leben, das uns vor-
geführt wird, und in der erbarmungslosen Beobachtung der ver-
zerrten Gesichtszüge des Heilandes und seiner am Boden sich
anklammernden Füsse, dass man fast die Frage unterdrückt, wie
ein Künstler, der die Antike so genau kannte, es über sich ge-
winnen konnte, dermaassen gegen ihren Geist zu verstossen. Und
es scheint, als hätte die Leidenschaft des Vorganges den Maler
selbst angesteckt, denn er hat seine Zeichnung mit kühnem Wurfe
hingeschrieben und das Fleisch mit überraschender sehwungvoller
Breite aufgesetzt. Auffallender Weise macht das Bild trotz goldig
warmen Gesammttones nicht den Eindruck der Manigfaltigkeit
des Colorits, den wir sonst bei Tizian gewöhnt sind. Dies mag
entweder von der Beschaffenheit der Holzfläche herrühren, welche
keine so reiche Abwechslung der Farbentextur und der Tönung
gestattete, oder der Grund ist darin zu suchen, dass Tizian, der
eben. mit dem Laurentiusbilde beschäftigt gewesen, in Folge der
überwiegenden Anwendung von Grau und Schwarz gleichsam
noch farbenblind war, sodass diese Töne auf seiner Pallette vor-
herrsehten. Der Eifer, den das Tempo der Ausführung verräth,
gibt sich auch in den harten Gegensätzen des Lichtes und tiefer
harziger Schatten zu erkennen, vermöge deren das Bild fast, den
Anschein eines Monochroms erhält, das nur theilweise zur natür-
lichen Farbe herausgearbeitet ist.
Wenn unser Stilgefühl nicht irrt, so gehören in das Jahr
1558 auch noch einige sehr schöne Porträts. Das in halber
Lebensgrösse ausgeführte Bildniss des Marc Antonio Rezzonico
im Hospital zu Mailand ist zwar in Folge ungeschickten Putzens
und Ausbesserns seiner Ursprünglichkeit beraubta, dagegen bietet
Bfailand,
Hospital.
5 Es stellt einen Mann in schwarzem Kleid mit gelben Aermeln bis zur Hüfte
gesehen innerhalb eines Zimmers stehend dar, welcher mit der Rechten nach irgend
Etwas deutet, während die Linke den Handschuh haltend an der Hüfte ruht. An