TIZIAN UND PHILIPP DER
OAP.
XVIII.
nommen wurde, ist in einem Stil gemalt, der es zeitlich dem
"Laurentius" an die Seite stellt. Ehemals in der Kirche S. Maria
delle Grazie in Mailand, ward es zu Anfang dieses Jahrhunderts
nach Frankreich gebracht. Mit Auffassung im klassischen Sinne
verbindet es den convulsivischen Ausdruck des Schmerzes.
Paris,
Louvre.
Auf den Stufen des Gefängnisses, über dessen Thorweg sich
eine Büste des Tiberius erhebt, leidet der Heiland die brutale
Misshandlung. Körper und Beine sind durch die instinktiven
Gegenbewegungen nach verschiedenen Richtungen verzogen: der
Kopf, auf welchem zwei rohe Schergen mit ihren Stöcken die
Dornenkrone drehend zusammenpressen, ist gebeugt nach links
gewandt, der Leib neigt sich nach rechts, während zwei knieende
Soldaten, von denen der vorderste, eine schöne jugendliche Ge-
stalt im Waffenrock von Schuppenpanzer, dem andern den Arm
auf den Rücken legt und sich umschaut, ihn an den festgeschnürten
Handgelenken packen und das Scepter reichen. Der Scharlach-
mantel, den man "dem Opfer zum Hohn um die Schultern gehängt
hat, lässt die Glieder ganz nackt, und in der würgenden Be-
wegung der Muskeln sowie in der Anspannung der Züge ist
physische Qual rückhaltlos ausgeprägt. Ebenso robust an Wuchs
wie Christus, aber nicht starker bewegt erscheint der Mann links,
dessen halb abgestreiftes Gewand zurückfliegt, wie er, um seiner
Armbewegung Nachdruck zu geben, die Stufen hinantritt. Bis
zum Entsetzen klar wird. die Mechanik der Henkersarbeit durch
den Gegendruck des Soldaten auf der andern Seite, den ein
dritter ablösen zu wollen scheintf
Ueber
seinem
Wunsche
nach
durchaus
menschlich
wahrem
Ausdruck hat Tizian anscheinend das Göttliche des Gegenstandes
vergessen, wie er bei seiner Anlehnung an die antiken Formen
7 Paris, Louvre, Holz, h. 3,03 M., br. 1,80 M., Figuren lebensgross, auf einer
der Treppenstufen die Inschrift: "TITIANVS F." Das Bild hat infolge von Auf-
besserungen an Schwere und Düsterheit in den Schatten zugenommen; der Name
Tizian's ist dabei entweder aufgefrischt oder hinzugefügt. Gestochen ist es von
L. Searanmueci, Lefebre, Gottfr. Sayter, Ribault und Massieu sowie in den Werken
von Filhol, Landon und Reveil und Duehesne. Eine andere lWSSUng der Com-
position, von welcher noch die Rede sein wird, beündet sich in der Münchener
Pinakothek; vgl. darüber auch Vasari XIII. 40.