578 TIZIAN UND PHILIPP DER ll. CAP.
XVIII.
All, die Mannigfaltigkeit der Lichterscheinung, die das Motiv
an die Hand gab, ist aufs Meisterlichste verwerthet: rother und
silberner Schein stuft sich bis zum tiefen Grauschwarz in allen
Nüancen
War
das
Bild
auch
bereits
im
Jahrhundert
Zll
dunkel geworden, um alle Einzelheiten genau erkennen zu lassen,
und hat es auch arge Unbill durch unberufene Hände erfahren,
so bleibt es nichtsdestoweniger ein Vorzug, dass wir es an der
Stelle sehen können, für die es Tizian gemalt hat, denn es blieb
hängen, als die Crociferi der moderneren Gesellschaft Jesu das
Feld räumten. Gegenstand und Ausnutzung desselben erinnern
an die Wirkungen, durch welche hundert Jahre früher Piero
della Francesca seine Zeitgenossen in Staunen versetzt hatte und
die Rafael in den Stanzen des Vatikan von Neuem mit so hohem
Geschmack zur Geltung brachtef Rühmen wir an der "Befreiung
des Petrus" die Einfachheit der Anordnung, die maassvolle Hand-
lung, die erhabene Formensprache in Verbindung mit dem Gleich-
gewicht der Licht- und Schattenführung, so bleibt Tizian trotz
sehr abweichender Auffassimgsweise hinter dem Vorgänger nicht
zurück. Niemals ist er dem Kunstwesen der Florentiner so nahe
gekommen, nirgends zeigt er sich den Grundsätzen dramatischer
Composition, wie sie Michelangelo vertritt, so verwandt wie hier.
Packender und irdischer als bei Rafael reden seine Gestalten die
derbe Sprache der Leidenschaft, farbenmächtiger als jener hält
er sie vcrmöge reichen Tonspieles fester im Raume zusammen.
Mit Michelangelo verglichen erscheint seine Zeichnung von Leib
und Gliedern im erregten Zustande zwar lockerer, aber doch in
ihrer Art gewaltig. Charakteristisch macht sich der Unterschied
zwischen den Erfolgen gelehriger Nachahmung und denen einer
urtheilcn war, der überdies, von der Gegenseite genommen und oben eckig abge-
schlossen, ganz willkürliche Zuthaten enthält, z. B. zwei nach dem Muster des
„Petrus Martyr" hinzugefügte Engclknnbcn, während der architektonische Hinter-
grund fast gänzlich unterdrückt ist. Auf dem Stich von Sadeler lautet die Inschrift
TITIANVS-INVEN JEQVES- OZESß; später stach es Bussemaker und im Umriss
Zuliani (s. auch Reveil und Duchesnc). Josuah Reynolds erklärt (s. Leslie und
Taylor I. S. S3), beim ersten Anblick sei es ihm so schwarz erschienen, dass er
geglaubt habe, es sei von einem Vorhang bedeckt.
6 s. der Verfasser Geschichte der italienischen Malerei, deutsche Ausgabe,
Band 111. s. 294 m