576 TIZIAN UND PHILIPP DER ll. CAP. XVIII.
von Tizian, welche die Bruderschaft für 200 -Scudi zu verkaufen
geneigt sei. Der König könne sogar für eine geringere Summe
eine Copie des Bildes von Girolamo di Tiziano haben, einem
Gehilfen des Meisters, der dreissig Jahre in dessen Werkstatt
gearbeitet habe und mit alleiniger Ausnahme seines Lehrers
keinem Andern nachsteheß Die Croeiferi, deren Hospital diesen
Schatz enthielt, waren Cenobiten, _deren religiöses Metier in der
Anbetung des von der Kaiserin Helena entdeckten wahren Kreuzes
bestand. Ihr Kloster war oft „in commenda" gewesen, was den
Charakter der Insassen gerade nicht verbessert hatte, so dass sie
von der venezianischen Regierung öfters mit Sakularisation be-
droht worden waren. An Urlbeliebtheit litt das Kloster aber
keineswegs; es besass grosse Anziehungskraft, da es mit Meister-
werken verschiedener Perioden, von der Zeit eines Cima, Man-
sueti und Lattanzio da Rimini an bis zu der des Tizian, Schia-
vone und Tintoretto geschmückt war. Zu Anfang des Jahres
1556 war Lorenzo Massolo, Schwiegersohn des Girolamo Quirini,
in der Kirche der Grociferi beigesetzt worden und seine Wittwe
Elisabetta forderte eingedenk ihrer alten Freundschaft für "llizian
den Meister auf, das Monument des Verstorbenen mit dem Mar-
tyrium seines Schutzpatrons zu sehmückenf Rechnet man zum
Todesjahre Quirinfs die Zeit hinzu, welche über der Errichtung
des Denkmals verstrich und welche Tizian bei seiner bequemen
Behandlung privater Bestellungen gebraucht haben wird, so kann
man die Ablieferung kaum früher als ins Jahr 1558 setzen.
Der Meister gewann dadurch Gelegenheit, einmal eine Nacht-
seene darzustellen für den Maler als solchen eine Wichtige
Erweiterung seiner Wirkungsgrenzen. Denn Qfenbm- versprach
der Effekt einer Märtyrerglorie am mitternächtigen Himmel, die
Lohe des Scheiterhaufens und ihr Wiederschein auf Gesichtern
und Waffen der Henker ganz neue Reize. Auch gebot der Gegen-
stand die Verwendung antiker Architektur und ihres Schmuckes,
3 Garzia Hernandez an Antonio Perez, Venedig 9. Oktober 1564, s. Anhang
No. OXVII.
4 Die Grabschrift, aus welcher wir das Jahr von Massolds Tode und der
Errichtung seines Denkmals entnehmen, findet sich bei Sansovino, Ven. (lescr. S. 169.