562 THÄTIGKEIT FÜR PHILIPP DEN ll.
CAP. XVII.
Medole,
Pfarr-
kirche.
ein Meisterwerk, das noch heute auf dem Hochaltare zu S. Maria
von Medole Zeugniss ablegt von der Hingabe, Womit es ausgeführt
war. Vergegenwärtigt ist das Zusammentreffen des Heilandes mit
seiner Mutter nach de1' Auferstehung: Maria kniet auf Wolken
und hebt staunend die Hände zu dem Sohne empor, welcher im
Grabgewande vor ihr steht und ihr die Wundmale zeigt. Links
im Nebel hinter Christus wägt -Adam, der erste Mensch, den
Balken eines Kreuzes, hinter ihm steht Eva mit zwei bärtigen
Patriarchen, wahrscheinlich Noah und Abraham. Aus dem Haupte
Christi zucken flammengleich Strahlen hervor, ein übernatürlicher
Glanz bricht durch das mit bcflügelten Engeln bevölkerte Him-
melsgewölbef" Schlechterdings stauneneri-egernl ist die Kraft,
welche der greise Meister hier kundgegeben hat. Einer uralten
Eiche ähnlich treibt er noch in Jahren, da alle andere Kreatur
verdorrt, jugendfrische Zweige. In sammtlichen Typen des Bildes
herrscht eine gewisse Gewalt vor, die Züge sind mehr charak-
teristisch als gewählt, kurz, der realistische Zug dieser Periode
macht sich stark geltend, aber es möchte schwerlich ein Werk
aus dieser Zeit zu finden sein, in welchem mehr Energie, mehr
Angemessenheit der Motive mit mehr Einfachheit des Tones ver-
bunden ist. Nicht genug kann man die Körperhaftigkeit der Mo-
dellierung und das Geschick bewundern, womit die Figuren vom
silbernen Lichtschein losgehoben sind. Hätten nicht Zeit und
unglückliche Zufälle der Leinwand sichtlich Eintrag gethan, man
könnte in Betracht der bewussten Grossheit und Macht der
44 Das Altarstück in Medole misst 2,76 M. zu 1,98 M. Laut einer Orts-
legende wäre Tizian im Hause seines Neffen, des Pfarrinhabers, erkrankt und hätte
zum Entgelt das Bild gemalt. Als es i. J. 1862 nach Venedig gebracht wurde,
um durch Professor Paolo Fabris ausgebessert zu werden, schrieb Dr. Francesco
Beltrame einige Bemerkungen darüber, welche im August desselben Jahres auf Sechs
Folioseiten veröffentlicht sind. Sie enthalten den Brief an Guglielmo Gonzaga, der
im Anhang zu unserem Bande unter N0. LXXVII. wiederabgedruckt ist und erklären
die Beschädigung, die das Bild erfahren hat, aus dem Umstande, dass es während
der französischen Revolutionskriege in einem Graben verborgen gelegen hatte, wo
die Leinwand fleckig wurde und die Farben zum Theil verdarben. Fabris hat sie
nicht sehr erfolgreich aufgefrischt: der blaue Mantel Mariufs z. B. ist in einen tiefen
fast schwarzen Ton verwandelt und Andreas ist versehunden und aus der Haltung
gekommen,