CAP.
XVII.
DIE
DREIEINIGKEIT".
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und die symmetrische Anordnung der Linien, welche ein solcher
Vorwurf auf so umfangreichem Raume erfordert. Man darf da-
bei nicht aus dem Auge lassen, dass Tizian ein Thema zu be-
handeln hatte, welches ihm vom Kaiser oder von einem der
geistlichen Berather desselben aufgegeben worden war und dass
somit ein Theil der Schuld billiger Weise diesem Umstande zu-
zuschieben ist. Aber Tizian hat was nicht verkannt werden
darf das mangelnde Gleichmaass des Aufbaues durch seine
Licht- und Schattenführung und durch die Anwendung lebensvoll
harmonischer Farben nahezu wieder eingebracht. Zudem wird
Dank dem inmitten des Gewölbes aufleuchtenden Glorienschein,
worin die Figuren schweben, die ganze Gruppe in einer Weise
verklärt, dass man die kolossale Masse etlicher Figuren ebenso
vergisst wie die gewaltsame Bewegung anderer und den Realis-
mus, der gerade hier mehr als je zuvor sich geltend macht. Im
höchsten Kreise des Himmels, wie in einem Heiligenschein, sitzen
die beiden ersten Personen der Dreifaltigkeit in ehrfurcl1tgebie-
tender Majestät mit krystallenen Weltkugeln und Sceptern in den
Händen. Die sie umgebenden zahllosen Cherubim und Seraphim
verlieren sich im glänzenden Wolkenschein. Etwas tiefer in den
Wolken steht die Jungfrau vor dem himmlischen Richterstuhl
und legt Fürbitte ein für die Sünder, an deren Spitze rechts
Karl der V. kniet. Im Profil gesehen blickt er andächtig betend
empor, hinter ihm die Kaiserin; noch niedriger sind Maria von
Ungarn, Philipp und seine Schwester angebracht, alle leicht
kenntlich, in Sterbegewänder gehüllt und in betender Stellung.
Die Krone liegt zu KarPs Füssen, wodurch wahrscheinlich die
Absicht seiner Thronentsagung angedeutet werden soll. Hinter
der königlichen Gruppe auf derselben Seite reihen sich mehrere
Figuren, unter welchen man in dem langbärtigen Hiob das Por-
trät des Vargas wird vermuthen dürfen. Man kann sich denken,
dass Tizian nicht ohne Zagen einem Gesandten des Kaisers diese
Rolle zutheilte. Der untere Theil des Bildes genau im Mittel-
punkte der Wolken enthält ferner: Moses mit den Gesetzestafeln,
Noah mit einem Modell der Arche, auf welcher die Taube mit
dem Oelblatt sitzt, und daneben eine Frauengestalt mit langem