SIEBZEHNTES
CAPITEL.
Thätigkeit
für
Philipp
den
Eine am Ende des 16. Jahrhunderts landläuiige Anekdote
behauptet, Tizian sei nach seiner Rückkehr von Augsburg vor
den Rath von Venedig berufen worden und habe dort in Gegen-
wart des Dogen Francesco Venier seine Erlebnisse an den Höfen
Karl's und Ferdinand's schildern müssen. Nach Beendigung
dieses Berichtes hätte der Meister alsdann seine Bereitwilligkeit
erklärt, die Ausschmückung des Rathssaales zu vollenden. Bei
Tizian's Begräbniss im Jahre 1586 ward die Absicht kundgegeben,
diesen Vorfall zum Gegenstande eines Bildes zu machen und der
Plan würde wahrscheinlich ausgeführt worden sein, Wären die
Schrecknisse der Pest nicht dazwischengetretenß
Die nüchterne Wahrhaftigkeit der Geschichte sträubt sich
jedoch schon deswegen gegen dieses Histörchen, Weil es den Fran-
cesco Venier im Jahre 1552 auf den herzoglichen Stuhl erhebt.
Auch sonst ist nicht anzunehmen, dass man einem Künstler,
selbst von der Berühmtheit Tizian's, ein Vorrecht zugestanden
haben sollte, das nur venezianischen Gesandten eingeräumt war;
die ganze Sache ist also wahrscheinlich Fabel. Nichtsdesto-
weniger war es durchaus möglich, dass Tizian, wenn auch 1110111;
in offizieller Form, so doch durch gewöhnliche Kanäle mit der
Signorie in Verbindung getreten sei. Während seiner wieder-
holten andauernden Abwesenheit hatte die Regierung ihn wahr-
1 Ridolü I.
und 281.
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