XVI.
TIZIAN NOCHMALS IN AUGSBURG.
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welchem die religiösen Kämpfe der Zeit und seine eigene Sehn-
sucht nach Ruhe zur Anschauung gebracht werden sollten. Auf
sein Verlangen machte Tizian den Vorschlag, die Herrlichkeit
des Himmels zu malen, in welcher die drei Personen der Trinität
thronen, umgeben von den Patriarchen, Propheten und Evange-
listen, und die Jungfrau Maria bei ihrem Sohne Fürbitte einlegt
für die Sünden der königlichen Familie, welche von Engeln be-
gleitet in den Wolken knieen sollte: zuvorderst in der Gruppe
Karl selbst als Büsser, hinter ihm die Kaiserin, Philipp und Maria
von Ungarn. Es müssen über diese und ähnliche Pläne lange
Verhandlungen zwischen dem Kaiser und dem Künstler stattge-
funden haben, ibis Tizian endlich von diesem das Bekenntniss
hörte, er Wünsche das Gemälde vollendet zu haben, um es nach
dem fernen Kloster mitzunehmen, in welchem er den Rest seiner
Tage zu verbringen gedachte?" Die Welt bemerkte mit Staunen
diesen vertraulichen Verkehr, Tizian's Ruhm als Gast des Kaisers
verbreitete sich durch Deutschland und aus seinem entlegenen
Studierzimmer in Wittenberg schrieb Melanchthon an Camerarius:
"Unser Genuese ist hier gewesen und hat mir erzählt, der Kaiser
sammele Truppen, um Parma wieder zu erobern. Tizian, der
Maler, weilt in Augsburg auf kaiserlichen Ruf und hat beständig
Zutritt bei Seiner Majestät, dessen Gesundheit im Ganzen nur
mittelmässig istßm Ohne Zweifel gab es Agenten genug, welche
den Protestanten über Karl's Thun und Lassen genaue Berichte
erstatteten, umso mehr als mit des Kaisers Bewilligung sich um
die Persondes gefangenen Kurfürsten von Sachsen ein kleiner
neugläubiger Hof gebildet hatte. Diesem gehörte auch Lukas
Cranach an, der Wittenberg verlassen hatte, um die Einsamkeit
seines Fürsten und Herrn zu theilen, und er war ganz der Mann,
seinen Glaubensgenossen alle Vorgänge von Belang hinterbringen
zu können.
'50 vgl. Vasari XII. 38, ferner den Brief Kaiser KarTs an Vargas, aus Brüssel
den 31. Mai 1553, im Anhang N0. LXXV.
M Dieser Brief, zwar ohne Zeitangabe, aber wahrscheinlich vom Januar 1550,
ist abgedruckt bei E. Voegelin: Liber oontinens continua serie epistolas Philippi
Melancthonis seriptas annis XXXVIII ad Joachim Camerarium Pabep. (Bambergen-
Sam) Leipzig 1569, s. m4 f.