Volltext: Tizian (Bd. 2)

CA 
P. 
XVI. 
DER KURiFÜRST vom sAcI-lggu. 
514 
an einem heissen Julitage 1548 zu der Wohnung des Kurfürsten 
Johann Friedrich aufmachten, um ihn durch Schmeicheleien 
und Drohungen zur Annahme des Interims zu bewegenfä Der 
Kanzler, ein hochgewachsener Mann in schwarzer Robe, mit dem 
Orden vom goldenen Vliess geschmückt, War kenntlich an seinem 
weissen Bart, der in zwei Spitzen von dem mächtigen Unter- 
kiefer herabfiel. Die Oberlippe, von einem Streifen Schnurrbart 
eingefasst, überragt die grosse fleischige Nase; die hohe ge- 
wölbte Stirn bedeckte zerstreutes flockiges Haar von zweifelhaf- 
ter Farbe, dagegen waren die Brauen buschig und beschatteten 
das scharfblickende, tief unter breiten Lidern lauernde Auge. Die 
vorstechenden Eigenschaften, welche aus dem Gesichte sprechen, 
sind Verstand und Schlauheit. Sein Sohn der Bischof war bei- 
nahe eine zweite Ausgabe seines Vaters, nur die Stirn nicht so 
hoch, Nase und Augen kleiner, Bart und Haar kürzer und dafür 
reichlicher und kraus. BcidelMänner waren beleibt, doch hatte 
keiner von ihnen die schwammige Vollblütigkeit des sächsischen 
Fürsten, dem die Gefangenschaft, namentlich in der Sommerhitze, 
äusserst beschwerlich fiel. Seine Kleidung war so wuchtig, dass 
das Reiten für den Reiter wie für das Pferd eine grosse Anstren- 
gung ward. Betrachtet man die von ihm in der Schlacht bei 
Mühlberg getragene schwarze Rüstung, die im Ambraser Museum 
zu Wien aufbewahrt ist, so begreift man, dass nur ein starkes 
friesisches Pferd solche Eisenmasse und ihren Träger fortzubringen 
vermochte. Johann Friedrich besass ein Leibpferd von dieser 
muskulösen Race und Karl der V. erkannte den Kurfürsten auf 
dem Schlachtfelde an diesem Pferde, denn er hatte es auch ge- 
ritten, als er im Jahre 1544 zum Reichstage in Speyer war. 
Cranach und Tizian haben Gestalt und Züge Johann Fried- 
rich's verewigt, wie es auch Beiden vergönnt war, die des 
Kaisers und seiner Familie zu malen. Der Kurfürst hatte feiste 
Backen, fette Arme, dicke Hände, einen Stiernacken, aus wel- 
chem der Kopf gleich einem abgestumpften Kegel hervorwuchs. 
Das Auge war gross, blutunterlaufen und apoplektisch, die Augen- 
Hortleder, Röm. 
Gotha 
Keyser Handlungen, 
1645, 1111.11. 
940 ff.
	        
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