Eß
TIZIAN IN AUGSBURG.
CAP.
XVI
Neben dem Kaiser ritt Ferdinand, sein Bruder, eine gedrungene
Figur mit kurzgeschorenem braunrothen Haar, buschigen Augen-
brauen, hohen Backenknochen und eingefallenen Wangen; seine
Adlernase trat stark heraus, da die aufgeworfene habsburgische
Lippe von frischem Bartwuchs verdeckt war." So standen die
beiden Sieger vor dem unglücklichen Kurfürsten von Sachsen,
der tiefgebeilgten Hauptes und aus einer Gesichtswunde blutend von
Ippolito da Porto gefangen herbeigeführt ward. Er trug schmuck-
lose schwarze Rüstung, welche seinc unbehilfliche Gestalt noch un-
formiger erscheinen liess. Als er sich dem "kaiserlichen Gespenst"
und der _„Drathpuppe von König" näherte, fand jene denkwür-
dige Scene statt, in welcher sich Ferdinand ebenso übermüthig wie
Karl besonnen benahm, Johann Friedrich aber Beide durch christ-
liche Ergebung beschämte. Der damals 28 jährige Moritz von Sach-
sen fand nach einem Bravourritt von 20 Stunden den Chef der
älteren Linie seines Hauses als Gefangenen und wurde Erbe seiner
Würden. Der Herzog von Alba, als Anführer des Heeres, war
der Erste, der Johann Friedrichs Unterwerfung entgegen genom-
men, nachdem der Fürst sich seinem eigenen Vasallen Thilo von
Trotha auf Gnade und Ungnade ergeben hatte. Dieser War es,
der nach der Uebergabe von Wittenberg den Vortrab führte und
dem der Kaiser nach der Unterredung in Halle den Kurfürsten
und den Landgrafen Philipp von Hessen anvertraute. Es folgte
eine sehr beschwerliche Reise für die beiden gefangenen Häupter
der freilich auch schon vorher so gut wie kopflosen protestan-
tischen Union; besonders schwer empfand aber Philipp den Druck
des Unglücks. Während er nach Donauwörth geschafft wurde,
brachte man Johann Friedrich nach Augsburg, wo er am 23. Juli
1547 ankam und ein Jahr verhältnissmässig ruhig verlebte. Seine
Wohnung erhielt er in einem geräumigen Hause dem Fugger'schen
Palaste gegenüber, in welchem der Kaiser residierte, so dass dieser
vermittelst einer Brücke, die über die Strasse geschlagen war, mit
seinem Gefangenen zusammen kommen konnte. Er hatte seine
1' Bericht des B. Navagero, venezianischen
dinannTs 1547, bei Buchholtz a.a. 0. VI. S. 493.
Gesandten
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Hofe König Fer-