51.2
TIZIAN
UND
DIE FARN ESEN.
XIV.
Mütze, den Blick sinnend auf den Beschauer gerichtet; von
rechts her, mehr im Vordergrunde, kommt Ottavio barhäuptig
und in ehrfurchtsvoller Haltung, den schwarzen Federhut in der
beschuhten Hand, den Finger am Degen; Wannns, Mantel und
Putiärmel in verschiedenem Braun, hinter ihm ein orangefarbener
Vorhang in mächtigen Festons. Beim Nahen des Enkels und
trotz seiner unterwürfigen Geberde dreht der Papst rasch und
reizbar den Kopf und rückt sich mit Anstrengung im Sitz zu-
recht, als sollte nun ein Ungewitter losbrechen. Trotz der Skizzen-
haftigkeit sind seine Züge voll Leben, der Blick durchdringend,
die Geber-de hastig. Das Ohr ist fast nur durch einen Pinsel-
strich angedeutet, der Bart eine graugemischte Masse, auch Hand
und Kleidung blos im Lokalton angelegt. Durchgebildeter und
voll Frische das nach rechts gewandte Gesicht des Kardinals;
Nase, Augen, Mund von grösster Regelmassigkeit, Haar und Bart
(lunlaelrothbraun. Die lange hagere Gestalt Ottavids sieht man
im Profil; er hat dichtes buschiges Haar und dünnen Schnurr-
bart, Adlernase und schmales glattes Kinn; Körper und Beine
bestehen nur aus Pinselstrichen."
„Weiss, Rcth und Schwarz mehr Farben braucht ein Maler
nicht, nur muss er sie richtig zu verwenden wissen". ln diesem
geiiügelten Worte, das man dem Meister nachsatgt, liegt allerdings
seine eigenthümliche Stärke bezeichnet. Einfacher kann man die
Mittel gar nicht denken, mit denen er hier gearbeitet hat, aber
Wie bewundernswerth gebraucht er sie! (Die Gruppe, schon in
der Anordnung höchst gelungen, ist so manigfaltig im Einzelnen,
so unmittelbar und natürlich im Gebahren, so sprechend drama-
tisch, dass man staunen muss. Der Alte ist augenscheinlich
75 Neapel, Museo Nazionale, Grosser Saal No. 1T, Leinwand, ganze Figuren
in Lebensgrösse. Die Farben blättern an manchen Stellen los, Uebernlalungen finden
sich an der Stirn und am weissen Kleide des Papstes sowie an der rechten Hund
und an den Beinen Ottavids. Im farnesischen Inventar bei Campari, Oat. S. 237
ist das Bild als „abbozz0" aufgeführt. Die kleine Copie in der Sammlung der
Akademie von S. Luca in Rom gilt ohne Grund für Originalskizze. Sie wurde
von dem Maler Pellegrini dorthin gestiftet und ist ein altes venezianisches Stück,
auf welchem die unfertigen Stellen in Tizian's Original von späterer Hand geschickt
ergänzt sind.