Erster Abschnitt.
Die Temperatafeln wurden nuifzwar getirnisst. Jene tiefe
Intensität der Farbe lockte der Firniss hervor. Schön und
mit unverkennbarem Respect sagt Cennini: „Der Firniss
ist eine starke Flüssigkeit, er hat hervorhebende Kraft. Und
jedes andere Bindemittel muss sich ihm fügen."
So machte denn freilich der Firniss die Schatten und
lntensivfarben voller, aber die Lichter verdunkelte er. Und
kamen unerwartete Flecken zum Vorschein, so war es zu spät,
sie zu verbessern. Das Schlimmste aber war, der Maler hatte
Während des Malens, und das war nun zum zweiten Mal,
dass er sich dieser Nothwendigkeit fügen musste, keine
lebhafte Vorstellung von der Schlusswirkung, die sein Bild,
gefirnisst, machen würde. Die Absicht auf diese Schlusswir-
kung konnte er also bei der Arbeit nicht klar verfolgen. Hatte
es doch schon grosse Uebung gekostet, in der theilweise noch
nassen Malerei während der ganzen Arbeit durchaus andere
Töne vor sich zu dulden, als die übrige schon getrocknete
Umgebung forderte, und dennoch den Schlusseffect genügend
im Auge zu behalten.
Der Hauptmangel der YVasserfarben ist, dass der Maler
durch das, was er im Augenblick des Malens auf dem Bilde
vor sich sieht, nicht in der klaren Vorstellung dessen bestärkt
wird, worauf seine Absicht eigentlich gerichtet war. Es ist
gar nicht möglich, dass sich beim Künstler die fortschreitende
Absicht entwickle, ein ihm in seinen Ursachen noch uner-
schlossenes Naturproblem eingehend zu studiren, wenn das
Darstellungsmaterial den sofortigen lebhaften Ausdruck der
an dem Vorbild aufgefundenen Ursachen der Erscheinungs-
form versagt.
Im concreten Falle, wer kann sein Gefühl für Modellirung
ausbilden, wenn sich ihm seine gemalte Modellirung fort-
während unter dem Malen verändert. Er sei z. B. mit dem
zweiten Halbton des Lichtes beschäftigt und suche dessen
Helligkeitsverhältniss zu dem kommenden Halbschatten. Im
Augenblick, nachdem er ihn aufgetragen, erscheint ihm dieser
Lichtton dreimal so dunkel, als der allerdunkelste Schatten,
den er zu malen hat, und es bleibt nun nichts übrig, als auf's.