Volltext: Über die Grundsätze der Ölmalerei und das Verfahren der classischen Meister

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Anhang. 
Den Giorgione reizte zum (lhiaroscuro offenbar haupt- 
sächlich das Relief der Form, aber dieses diente ihm nicht 
zur genaueren Charakterisiriung des Organismus und der Einzel- 
formen. Er ist der erste Maler, welchem um des Gegensatzes 
heller, hoher Lichter und äusserst dunkler Schatten, und um 
des aus der Fläche hervorspringenrlen Ansehens willen, welches 
dieser Gegensatz dem Gemalten giebt, sogar das sanfte ln- 
einanderverschmelzen der Modellirung, die (Jontinuirlichkeit 
derselben entschlüpft. Lionardo gerath, indem er durch 
lange Abschattirungsscalen die continuirliche Form bis in ihre 
sanftesten Ausweichungen hinein Verfolgt und charakterisirt, 
zuweilen zu sehr in's farblos Dunkle der Schatten, Gior- 
gione zerstückt die Form, indem er, schroff und hart, 
höchste grelle Lichter und schwarze Schatten dicht nebenein- 
ander stellt. 
Auch als er später diese Gegensätze wieder inildcrte, war 
sein Beweggrund der, den tiefen und gebrochenen 'I'önen 
wieder mehr Farbcndeutlichkeit und dem Relief mehr Weich- 
heit zu geben, aber das Formenverstandniss hat nicht des 
grossen Vortheils genossen, Welchen die neue Art des Li on ardo 
der Malerei verschaift hatte.  
Wie wahr dieses sei, geht daraus hervor, dass Sebastian 
del Piombo die venetianische Weise des Colorits und die 
Formengebung des Michel Angelo zu vereinigen suchte. 
Also war ihm das venetianische coloristische Relief ein rein 
coloristischer Vortheil, und die "Form" betrachtete er als etwas 
von dem Colorit Getrenntes. Sebastian wusste, dass die 
V enetianer sie vernachlässigt hatten. Und dieses ist das unter- 
scheidende Merkmal der Venetianer in der Folge geworden. 
Wenn der Formenverfall nicht sogleich allgemein bei ihnen 
ward, so hat dies seinen Grund in der vorausgehenden strengen 
Schule und in dem Umstand, dass der Einliuss der Fremde 
einzelne Meister immer Wieder auf die Form zurückwies. So 
den Tizian und vor Allen denlPaolo Veronese. Aber 
bei dem Erstgenannten ist doch die ausserordentliche Un- 
gleichheit, die er in dieser Hinsicht bethatigt, auffallend, und 
selten oder nie geben uns seine Gestalten den Eindruck, als
	        
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