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Anhang.
darunter noch nicht, wie heute, eine vorurtheilsvoll und will-
kürlich verschnittene Manier des Ausdrucks. Was noch
Vasari unter der schönen Zeichnungsart versteht, ist hiinmel-
weit verschieden von dem Zeichnen unsrer modernen aka-
demischen und nichtakademischen Zeichner. Es ist unter
dem tVort verstanden, dass die Kenntniss des natürlichen
Organismus den Künstler befähige, den einzelnen unvoll-
kommenen F all durch den verallgeineinerten Begriff von der
Vollkommenheit der Natur, welche in der Realität selten auf-
tritt, naturgemäss zu veredeln und mit dem Rest in Kleber-
einstimmung zu setzen.
Correggio.
Dieses vorangestellt, verdient am wenigsten von allen
Clairobscurmalern par excellence jenen Tadel (Torreggio.
Nicht wenige seiner Gestalten, wie der Eros auf der Danae,
zeugen von einem aufmerksamen Eingehen auf den organi-
schen Zusammenhang und auf das Formendetail der mensch-
lichen Gestaltl). Sein Contour ist fast innner mit grosser
zeichnerischer Feinheit und Natürlichkeit gezogen. Die ausser-
ordentliche Individualität und der unendlich fein wiederge-
gebene stoffliehe Reiz der Körperoberiiachen (Darstellung der
Transparenz der Haut, des zarten Wangen- und Lippenroths,
die schönen biegsamen Hände, das herrliche weiche Haar) be-
kunden ein unausgesetztes, liebevolles Studium der Natur auf
die Form hin. Aber es fehlt ihm jenes verallgemeinernde
anatomische Wissen, welches die Andern erworben hatten,
und mit dem ausgerüstet sie das Modell nun ganz anders
und freier betrachteten, so dass man wohl von Lionardo,
Michel Angele und Rafael, sowie von vielen Andern
sagen konnte, sie übertrafen die Natur, Denn es war ihnen
allerdings eine Vorstellung vom vollkommenen menschlichen
Körper erwachsen, die über das, was die Natur in vielen
1) Allerdings ist die Erscheinung jugendlich glatter Körper auch eine
einfachere und leichter fassliche, sehr muskulöse Männergestalten sind dem
Correggio nicht so gut gelungen.