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Anhang.
unterschieden! Wie sind die Stoffe der Prachtgewätnder ge-
malt, Wie die Metalle und edlen Steine! YVie ist das Fleisch
der Wange und wie sind die Lippen so weich, gegen die über
den Knochen gespannte Haut der Stirn! Wie schimmert das
Auge in feuchtem Glanz, und wie weht die Luft durch die
bewegten Haarlocken!
Aber auch die Vollendung des Contours und der Form
in grösserem Sinn eilte mit Riesenschritten jener Idee der Voll-
konnnenheit entgegen, Welche ihr die grossen Italiener bald
geben sollten. Auf den Portraits dieser Zeit, vor Allem auf
deutschen, finden wir das Menschenantlitz und die Hände
schon häufig mit sublimer Formenvollendung gemalt. Der
Flächenbau ist meisterhaft verstanden und charakterisirt, mit
der Deutlichkeit des Bildhauers; die Ganzheit der Erschei-
nung aber tritt niemals wieder vollendeter hervor, als in diesen
farben- und fornienglänzenden Leistungen, die wohl auch einen
Phidias, wenn sie ihm zu Gesicht gekommen wären, mit
Bewunderung erfüllt hatten.
Was nun das Colorit als Farbe angeht, so haben jene
Maler Wohl loewiesen, dass sie es vortrefflich verstanden,
dunkles (llairobscur zu behandeln. In den (lunklen Hinter-
gründen ihrer Interieurs sind Form und Farbe bis in die
letzte, man möchte sagen, raffinirteste Feinheit mit zuweilen
unbegreiflicher Meisterschaft deutlich erhalten. Niemand von
den Spateren, auch Correggio nicht, hat dieses in so hoher
und weitgetriebener Vollendung mehr geleistet. Aber eigent-
liche Olairobscure haben sie dennoch kaum gemalt. Auf jenen
dunklen, aber farbenklaren Hintergründen hebt sich die be-
leuchtete Gestalt schönfarbig hervor. Noch war die Detail-
form der menschlichen Gliedmaassen nicht das vorherrschend
Interessirende. Auf den meist figurenreichen Oompositionen
galt es, den nicht in grossem Maassstab ausgeführten Einzel-
'gestalten durch breite und entschiedene Localfarbengebung
ihre Totalitat, ihre Formenzusaminengehörigkeit zu erhalten.
Durch dieses helle Colorit ist das Problem in der That
gelöst, auch Bildern kleinen Maassstabes insofern ein n1onu_
tales Gepräge zu verleihen, als man auf weite Plntfernungen