Volltext: Studien zur Geschichte der Oelfarbentechnik

Wer z. B. die Polychromie der alten Schreinaltätre und 
deren Figuren etwas genauer studiert hat, der wird über die oft 
genialen Einfälle nicht wenig erfreut gewesen sein. Wir staunen 
oft nicht ohne Grund über die einheitliche Wirkung und die bei 
allem kleinen Zierrath das Ganze beherrschende Grösse; bei 
näherem Zuschauen, namentlich bei der Untersuchung verletzter 
Stellen klärt sich dann aber manches Unerklärliche auf.  So 
sah ich einen ziemlich grossen Schreinflügel, (etwa aus dem 
letzten Viertel des 15. Jahrhunderts), der in sechs Nischen, 
welche nach Oben durch zierlich durchbrochenes, reich-geglie- 
dertes Masswerk abgeschlossen waren, sechs Apostel-Figuren 
zeigte. Das Ganze machte trotz seiner vielgestalteten feinen 
Gliederung und der wahrhaft künstlerisch behandelten freien Ge- 
wandungen einen ruhigen, doch reichen Eindruck. Mit den grossen, 
flächigen Motiven kontrastirten die kleinen scharf gebrochenen 
Falten in pikantem Wechsel. Die Fleischtheile waren in schlichten 
Tönen gehalten, alle wie aus einem Topfe; belebt wurden sie 
durch die Beleuchtung und das Individuelle der Einzelnen. Die 
glatt vergoldeten, in Glanz behandelten Gewandungen, schmückten 
breite, stark wirkende Säume, die bei reicher Ornamentation einen 
dunkleren, matteren Goldton zeigten. Diese, wie mit kufischen 
Charakteren bedeckten Säume erwiesen sich bei näherer Be- 
trachtung als stark gepresste und mit einer sich steifenden Masse 
getränkte feine Zeugstreifen, die als solche sich durch aus- 
franzelnde Fäden an einer verletzten und länger rüde behandelten 
Stelle verriethen. Diese allenthalben gleiche Umrandung der Ge- 
wandungen wirkte wie mit vollendeter Meisterschaft -in Kreide- 
grund geschnitten, und war ich zuerst erstaunt über die Summe 
von Mühe und die gleiche Art der Ausführung selbst an oft 
kaum oder nur schwer zu erreichenden Stellen.  So Wusste 
also der Polychromeur ein Mittel, rasch und wohlfeil ein allen 
Ansprüchen genügendes Werk zu schaffen!  
Dieser einzige Hinweis des Plinius auf Sisapo genügt eigent- 
lich, um über das Wesen der von ihm mit minium bezeichneten 
Farbe unterrichtet zu sein. Auch sind damit alle scheinbaren 
Widersprüche, die sich bei dem Genannten wie anderen Autoren 
auffinden lassen, gehoben. Wenn aber K. O. Müller Seite 4:31 
(Handb. d. Archäol.) bei Erwähnung der von Plin. XXXV, 32 
besprochenen vier Hauptfarben auf die mannigfachen Bedeu- 
tungen oder Anwendungen des Wortes minium verweist ohne 
eine definitive Richtigstellung zu bringen, dann scheint die An- 
gelegenheit doch wahrlich interessant genug, um die Erwähnung
	        
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