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zieht. Nach Fr. Kaulen (Die Sprachverwirrung zu Babel. Mainz,
Verl. v. Fr. Kirchheim, 1861) haben zunächst die Babylonier
die Ueberlieferung von himmelhohem Thurmbau und göttlich
verhängter Sprachzersplitterung in einer Gestalt aufbewahrt,
welche den biblischen Bericht deutlich genug erkennen lässt.
Auch die Armenier kennen die Sage, desgleichen die Griechen.
In Persien, Indien und China lebt die Sage nach der jeweiligen
Eigenthümlichkeit der betreffenden Völker gefärbt. In Amerika
trifft man Erzählungen von ehemaliger Einheit und plötzlicher
Zersprengung der Sprache bei manchen Völkern, namentlich bei
Mexikanern, deren Stufenpyrainiden selbst noch eine Erinnerung
an den Bau in der ehemaligen asiatischen Heimath sein mögen;
"auch in der Südsee wissen die Australier von der
ehemaligen Einheit der Sprachen zu erzählen". (S. 177.)
Vielleicht erscheint es Manchem parodox, in einer Schrift,
welche sich mit Untersuchungen über das frühe Vorkommen
und die Fortentwickehlng der Oelfarbentechnik zum Zwecke der
Verbesserung des heute benutzten llllateriales befasst, Hinweise
selbst auf mathematische Studien zu finden. Die Ueberraschung
ist begreiflich, insofern eine solche Auffassung der hier angeregten
Fragen etwas ungewöhnlich erscheint. Doch wird die Gefahr,
Ungewöhnliches, etwas wider die herrschende Meinung zu sagen,
nicht allzu gross, und mit Rücksicht auf die bislang gemachten
Erfahrungen verzeihlich sein, weil die Nachsuche auf den bis
heute eingehaltenen Wegen nur wenig den gestellten Erwartungen
entsprochen hat. Vitruv spricht im ersten Kapitel des ersten
Buches von der Bildung der Baumeister, bei der zwei Faktoren
massgebend seien: die Praxis und die Theorie, und führt dann
weiter aus, dass sich der dieser Kunst Widmende neben mannig-
fachen Elementarkenntnissen in verschiedenenWissenschaftszweigen
ein ausreichendes Urtheil zu erwerben habe. Auch hier wird
es Manchen befremden, zu hören, dass der Architekt nicht allein
eine gründliche Kenntniss des Handwerksmässigen neben tüch-
tiger Schulung im Zeichnen besitzen, und sich in der Geometrie,
Optik und Arithmetik wohl unterrichtet zeigen soll, nein, er
muss auch stilistisch gebildet sein, reiche geschichtliche Kennt-
nisse besitzen, die Philosophen fleissig gehört haben, sich auf
Tonkunst verstehen, der Heilkunst nicht unkundig sein, sich mit
den Entscheidungen der Rechtsgelehrten vertraut zeigen, und die
Gesetze der Astronomie kennen. Vitruv erklärt dies dann im
zwölften Abschnitte besagten Buches näher und sagt, dass solch
Verlangen den Unerfahrenen vielleicht überrasche, da es die
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