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d. h. aus der Zeit zwischen 3000 und 2000 V. Chr. gesehen?
Wer kann es noch wagen, angesichts dieser Schilderungen aus
dem Leben von Leblosigkeit und Steifheit zu sprechen? Welch
scharfe und konkrete Auffassung und Wiedergabe der Natur!
Welch gewandte Darstellung der Menschenwelt und Thierwelt!
Welche Naivetät und welch geistvolle Feinheit und technische
Vollendung! Mit diesen Leistungen kann die ägyptische Kunst
mit jeder andern, auch der vollendetsten, wetteifern in der hin-
reissenden Lebendigkeit, Sicherheit und Richtigkeit der Natur-
Schilderung.
Nicht mit Unrecht spricht man in kundigen Kreisen neuer-
dings von einem Realismus der ägyptischen Kunst. Von einem
toten Schema, einem seelenlosen Mechanismus, welcher sich
zwischen den Künstler und die Natur störend einschieben würde,
keine Spur. In unmittelbarstem, ungehemmtestem Rapport zur
Natur steht hier die Kunst. Man muss sich fragen: Woher kam
diese Kunst zu solch intimer Beziehung zur Natur schon in
ihren Anfängen? Sie war geradezu durch den religiösen Glauben
auf die Natur vereidigt und verpflichtet. Genaueste Wiedergabe
des menschlichen Körpers, der leiblichen Erscheinung des Menschen
war oberste Pflicht und absolutes Erforderniss bei Anfertigung der
Bilder des Verstorbenen für die Mastaben. Nur die völlige Iden-
tität des Abbildes konnte dem Kai) etwas nützen, ihm eine
stellvertretende Leiblichkeit schaffen.
Der Realismus konnte dieser Kunst keine Gefahr bringen,
keine Spannung mit der idealen Aufgabe hervorrufen, keinen
falschen Naturalismus zeitigen, die Kunst nicht herabwiircligen
zur photographischen Maschine. Denn ihr war der Realismus
nicht Selbstzweck, sondern durch den Zweck gefordertes Mittel;
sie verfiel nie in einen Kult der Natur und fiel nie ab von ihrer
idealen Aufgabe. Sie beherrscht die Natur durch den Geist;
sie stilisirt dieselbe, ohne ihr irgendwie Gewalt an-
zuthun. Sie betont die Kontur, die Linie, welche der Extrakt
der Naturbilder und des Körpers ist; sie übersetzt die Natur-
Satze zu den in Oberägypten zu betrauhtetldexi Felsenkmrinxerii) nennt;
der Araber: Mzlstnba. Man sehe dazu bei G. Ehers S. 155 die
Bizistaba des Ti und Ptah-hotela zu Sakkara. D. V.
1) Ka. heisst der geheimnisvolle Ausdruck für das, was im Tode
nicht stirbt, oder für den Menschen im jenseitigen Leben; er ist nicht
leicht mit einem Wort ganz treifend wiederzugeben, bedeutet aber un-
gefähr soviel wie: der Geist, die Seele, das Ich, die Person. (Dr.
P. Keppler. S. 50.)
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