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Nur den kann eine solche Kritik, ein solch' nicht mehr zu
überbietendes Lob überraschen, der die Sache nur flüchtig ver-
folgt, oder der sich gewöhnt hat, die von Archäologen über die
Kunstentwickelung bei den Griechen festgestellten Perioden als
unantastbar zu betrachten und nur auf diesen Grundlagen weiter
fortzubauen. Zu anderen Ergebnissen gelangt aber der Praktiker,
der vorurtheilsfrei forschende Künstler. Man führt die Kunst
auf sogenannte Monochrome und Silhouetten-Darstellungen, als
auf Erstlingsverfahren zurück. Doch was sind Monochrome?
(Man sehe ab von primitiven Handwerksarbeiten.) „Es gehören
im strengen Sinne", sagt John, 1) „unsere neueren Sepien- und
Tuscharbeiten .3 jaiselbst ausgeführte Zeichnungen mit rother
oder schwarzer Kreide hieher In der Oelmalerei könnte
man die Arbeiten, welche man Grau in Grau nennet, Mono-
chrome nennen . Wenn sich nun aus gewissen Zeiten
nur griechische Monochrome mit Scherbenroth (gemahlener terra
sigillata), mit Drachenblut (Cinnabaris oder Kinnabari auch chi-
navari) oder Ephesischem Minium (Miltos, Bergzinnober) gemalt,
erhalten finden, so beweisen diese doch nur den jeweil höheren
oder niedereren Stand der Vasenmalerei, wenn man will, auch
den des Kunsthandwerkes; aber daraus eine Schlussfolgerung
auf die Entwickelung und den Stand der Malerei wie der übrigen
Künste zu ziehen, ist doch unstatthaft. Desgleichen verhält es
sich mit den Lampen- und Sonnenschattenrissen, deren Erfinder
und Verbesserer uns selbst gemeldet werden. Denn finden wir
nicht nach den gewaltigen Schöpfungen der Renaissance und
den hervorragenden koloristischen wie zeichnerisch gleich-
bedeutenden Werken des 17. Jahrhunderts und den genialen
Leistungen des Rococco gerade die primitivsten Silhouetten-
Darstellungen zum Schlusse des vergangenen Jahrhunderts wieder
hervortreten? Und finden wir deren Herstellung nicht in ähn-
licher, ja in noch kindischerer Weise erörtert und empfohlen
wie uns deren Entstehen Plinius erzählt? Gestatten diese aber
nun eine Schlussfolgerung auf das Vorhergegangene? Man
spricht von der Skiagraphie, als einem Kunst-Beginnen, doch
was ist sie anders als ein, unter Umständen hohes technisches
Können und Wissen verrathendes Kontur- oder Silhouetten-
zeichnen? John sagt deshalb mit Recht (S. 108): „Wenn
Homer auch der eigentlichen Malerei nicht Erwähnung thut,
sondern nur von Farben an Schiffen spricht, so lässt er uns
doch die Zeichenkunst auf einem sehr hohen Gipfel der Voll-
112.