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gelehrter Forscher verfolgt haben, so ist ein Hinweis auf das
noch tiberrasohendere Vorkommen jenes den Christen heiligen
Symboles zu Mesopotamien und zu Mexico um so beachtens-
werther, als sich, gewiss seltsam genug, dort wie hier der sonst
nicht wieder anzutreffende Bau terrassenförmig sich aufziehender
Stufenpyramiden nachweisen lässt, über deren Bau uns Herodot
in seinem ersten Buche, Kapitel 181 u. w. als Augenzeuge be-
richtet. 1)
Nicht allein ist es die äussere Gestaltung, welche in
Mittelamerika eine Wiederholung der in den Euphratländern beliebten
Bauform zeigt. So wie Herodot von Ekbatana berichtet und wie die
aufgefundenen Reste eines ähnlichen Pyramidenbaues im Sargons-Palaste
zu Kujundschik bestätigen, so kehren auch dort sogar dieselben
Farben: Weiss, Schwarz, Roth und Blau bei der polychromen Aus-
stattung des Baues wieder. Die dortigen Funde sind so überraschend,
dass ich gerne auf die in der Nr. 1 und 3 des Jahrgangs 1893 der
"Katholischen Missionen" (Verlag: Herdefsche Verlagshandlung Freiburg
im Breisgau) aufmerksam mache, weil die betreffende Literatur nicht
leicht, die erschienenen Prachtwerke nur schwer zugänglich sind. (Bei-
spielsweise kosten die 7 Bände des 1830 zu London erschienenen iNcrkes
des Lord Kinsborough 15 O00 Frcs.) Man sehe hierzu auch Kaulen,
Assyr. u. Babyl. IV, der Sargons-Palast S. 58 beginnend u. w. Dazu
in diesem Buche: Anhang 21 zu S. 70. Jede anderswo in vorchrist-
licher Zeit auftretende Kreuzesfonn, sei es das griechisch geformte Kreuz
oder das Tau- oder Galgen-Kreuz, dem wir im sogenannten Nilschlüssel
begegnen, treffen wir in weit ausgebildeterer Form als in den schon er-
wähnten Ländern eben hier in den alten Culturstaaten Mittelamerikas.
Da. es sich nun um den Nachweis einer Uebertragung, einer Vererbung
handelt, so kann dies seltsame Auftreten der Kreuzesform nebst den sie
begleitenden Umständen nicht unbesprochen bleiben. A. von Hum-
boldt schreibt in seinen Kritischen Untersuchungen über die historische
Entwickelung der geographischen Kenntnisse von der Neuen WVelt (I,
544): „Die Kreuze, welche auf Cozumel, in Yucatan und anderen Gegen-
den von Amerika die Aufmerksamkeit der Conquistadores (Eroberer) in
so hohem Grade auf sich gezogen haben, beruhen keineswegs auf
"Mönchssagen", sondern verdienen, wie alles, was auch nur entfernten
Bezug auf den religiösen Cultus der einzelnen Völker von Amerika hat,
eine ernstere Untersuchung." In der Nummer lO des Jahrganges 1893
der schon erwähnten „Katholischen Missionen" findet sich eine über-
sichtliche Darstellung mit treiflichen Illustrationen der vorchristlichen
Kreuze in Mexico und Centralamerika, die als eine werthvolle Er-
gänzung der schon vorhin erwähnten Berichte zu betrachten ist. Durch
diese Mittheilungen erfahren wir, dass die übereinstimmenden Berichte
der ältesten Chronisten der Eroberung sowohl, als auch die Unter-
suchungen der neuen archäologischen Forschung feststellen, dass der
"Cult des Kreuzes" zur Zeit der Entdeckung Amerikas in Mittel-
amerika sehr verbreitet war. NVir finden ebendort das Kreuz als
Colossztlkreuz, als Basrelief in Stein, auch solche mit Stuck bekleidet,
[in dessen Bereitung man eine grossc Meisterschaft verräth, und in dessen
Anwendung sich eine ganz eigenartige Technik zeigt], wir finden solche
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