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Sehen wir uns somit auf ein Studium der einschlägigen
Wissenschaftszwcige aufdas Dringlichste verwiesen, so haben
die im Verlaufe dieser Erörterungen berührten handwerks-
massigen Uebungen genügend gezeigt, dass es dem Kunst-
beflissencn nicht schadet, auch von dieser Thättigkeit etwas
zu kennen; ja, es ist dies weit nützlicher als Viele glauben.
UebCY fliß Ein Vorkommniss ganz alltäglicher Art macht deutlich, wie
nothwendig dem Künstler gewisse handwerksmässige Fer-
lnässiwell tigkeiten sind. Jemand hatte den Auftrag, auf einer
Fertigliäitell. selten grossen Haut (Pergament) einen überaus reichen,
künstlerisch prächtig gestalteten Stammbaum zu malen.
Die Arbeit war schon weit gediehen, als unerwartet in der
etwas warmen Stube die Haut herunterplatzte. Unter
vieler Noth und Sorge wurde das Pergament wieder ge-
feuchtet und mit mehreren Streifen starken Papieres
gespannt; doch der Unfall wiederholte sich. Also durch
Unkenntniss wurde einmal viel Zeit verloren, leicht zu
verhütende Angst und Sorge getragen, und dazu die Arbeit
wiederholt gefährdet. Alles dies konnte bei richtiger In-
angriffnahme verhütet werden Denn zunacht war das
Porgament von der Rückseite zu stark angefeuchtet
worden, was besser nicht einmal direkt geschieht, da sonst
die Haut zu viel Gewalt bekommt und dann kaum zu
meistern ist. Man heftet besser das Pergament mit Heft-
zwicken leicht auf ein Zeichnenbrett, stellt das Brett senk-
recht fest, und hängt etwa um Handbreite davor, ein
gleich grosses, gut gefeuchtetes, dann aber ausgerungenes
Tuch. Sobald das Pergament von der Feuchtigkeit beein-
flusst, leicht wellig wird, dann genügt dies vollauf um
es zu spannen. Hierzu nimmt man wiederum keine
Papierstreifen, sondern gutes, daumbreites Leinenband.
ist die Haut sehr gross, und besitzt sie deshalb grössere
Zugkraft, dann nimmt man vorsichtshalber noch ein zweites
etwas breiteres Band und klebt dieses ebenfalls mit gutem,
nicht zu kurz gekochtem, in linder Wärme erhaltenem
Tischlerleini so auf, dass es das erstgeklebte Band auf
dem Pergamente wie auch auf dem Bette etwas überragt.
Das nach Beendigung der Arbeit erfolgende Abspanncn
muss wiederum gekannt sein, denn dies ist bei grösseren
Flächen für die Arbeit nicht gefahrlos. Schneidet man
nämlich mit dem Messer das Pergament herunter, dann
kann es leicht vorkommen, dass an einer etwas dünneren,
somit widerstandsloseren Stelle, das Pergament krachend