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Vinci ,
Leonardo
Figuren einen oder ein paar Pinselbiebe zu geben, und sogleich
nieder um zu kehren. Die Technik der Freshomalerei hätte diess
sicher nicht erlaubt, und nur die Oelfarbe konnte dazu dienlich
scyn. Vasari scheint es ebenfalls gewusst zu haben, dass das Bild
in Oel gemalt sei, weil er nicht ausdrücklich beifiigt, dass Leo-
nardo in Fresco selbes behandelt habe. Die abgesprungenen Ear-
benstiiclte und die Grundirung bestiittigen ebenfalls BossPs An-
gabe, und auch aus den erhaltenen Stellen kann man nicht auf
ein buon Fresco schliessen. Die Zeit des Beginns des Werkes ist
nicht genau zu bestimmen, Bossi glaubt aber, es sei von 148i
1498 entstanden, gleichzeitig mit der berühmten Reiterstalue des
Herzogs Francesco. Im Jahre 1481 licss Ludovico il Moro das
Betehtorium erweitern, wodurch der alte Bilderschmucl-t gelitten
haben kann, so dass L. da Vinci bald nach der Herstellung seinen
Auitrag erhalten haben diirlte. Ini'.lahre 1495 malte Montorfano
dem Abendmahl gegenüber die Kreuzigung, zu einer Zeit, als Leo-
nardo das Werk noch nicht beendet hatte. Amoretti fand in einer
lilostei-i-echnung von 1497 noch eine Zahlung angemerkt, mit den
Worten: Item p'er lavori facti in lo relectorio dove rlepinge Lco-
nardo gli Apostoli cun una {inestra lire 51.16.5. Und Sumitltönnte
das Cenacolo 1.197 oder im folgenden Jahre die Vollendung er-
reicht haben. In jene Zeit fallen auch die alten Iiuplerstiche nach
dem Abendmahl. Die Composition dieses Bildes ist allgemein be-
ltainnt, da es in unzähligen Nachbildungen vorkommt. Den Grund-
gedenken geben die Worte Christi: SVAITICII dico vobis_quia_ umis
vesti-um me traditurus estm Diese unerwartete, unbegreifliche, aus
beii-iibtem Ilerzen fliesscnde Rede niotiviret die Bewegungen der
Apostel. Staunen. Schmerz, 'l'_rauer, Unruhe und Entsetzen bcinäeh-
tiget sich ihrer. Sie finden eine solche Verruclitheit nicht möglich,
den Herrn und Meister zu verrathen, und liililen sich in tiefe,-
Erregung alle unschuldig bis auf einen, der neben dein Lieblings-
junger sitzt. krampfhaft den Geldbeutel hält, und zwischen Hass
und Furcht schwebend in Verwirrung das Salzfass umstösst. Eine
SCllllIlßTt! Charakteristik der Apostel, als sie Giithe gegeben, kann
man nicht mehr lesen. Alle Bemerkungen zu fassen, wozu diese
erhabene Schöpfung Leonartiws Veranlassung gegeben, ist für un.
sei-n Raum unmöglich. VVir erblicken in diesem Qbendmahl zu-
erst die vollendete liunst nach allen Richtungen _hin. Vergleicht
man die COIDPOSlllOU mit den Bildern, welche Giotto oder einer
seiner Schüler im Refelatorium von St. Croce, und Dom. Gliirlan-
dajo im kleinen Refehtorium von S. Marco gemalt haben, so sieht
man deutlich, wie die Malerei von dem bloss symbolischen gum
ClIGTIIlKICFVUIlOD und Menschlichen, und zugleich von der mange]-
halten zur hezauberndsten Schönheit gelangt ist. Bei Giotto sind
die Apostel wiirdevolle typische Charaktere, fast ohne leidenschaft-
licheniAusrlruck, symmetrisch neben einander gestellt. Bei Ghir-
landajo sind sie schon edle, tiellülilende Menschen, deren Wiirrle
nicht im Bewusstseyn, sondern in ihrer Natur liegt; aber obgleiqh
manches [Vlotiv schon dasselbe ist, wie bei Leonardo, sind sie doch
mehr wie einzelne Bildnisse, fehlt ihnen doch der schone Zusam-
nicnhang, der feine Uebergang der Empfindungen, und d" rei-
zende Bau der Gruppe und Bewegungen;_ noch blickt die strenge
und geradlinige Symmetrie des Giottohindurch. _Ei'st Leonardo
erreicht die vollste und lebendigste Schönheit in Schilderung des
(jemiithes und des Körpers, die reichste und reinste Durchführung
aller in der menschlichen Seele vorhandenen Motive, und den
schönsten Bau der Linien in allen Gruppen und Formen. Statt;
klitäa seine Vorgänger die Symmetrie in die liguren legten, gibt