Vien ,
Joseph
Marie.
237
schule stand , welcher aber dem allgemeinen Haufen folgte,
mit Boucher das genaue Studium der Natur und der Antike für
überflüssig hielt, und dieWerke der Meister deslö. Jahrhunderts als
{rostig erkliirle. Damals hielt man nur auf Schönheit der Idee,
welche sich in theatralischer Grazie aussprechen musste. Um Wahr-
heit in Stellung und Ausdruck, um Richtigkeit der Zeichnung war
es weniger zu thun, als uin ein wohlgefiilliges, die Augen beste-
chendes Bilrhund je geschwinder und nieistcrhafter einer dasselbe
liiiiinalte, desto mehr wurde sein Schwung der Phantasie ange-
staunt. Vien liess sich aber durch diese leichte Art zu" arbeiten,
und sein Glück zu machen nicht verführen. Er zeichnete fleissig
nach der Antike uiidnach derNatur, und copirte die Werke RafaePs
und anderer begabten Meister. Er machte zu jedem seiner Werke
genaue Studien, und hatte jedesnial das Modell vor Augen, des-
sen Gebrauch er in der Folge auch in seiner Schule einfiihrte, in-
dem wöchentlich dreimal nach demselben gezeichnet wurde. In
Vieifs Werken erkennt man die erste Wiederaufnahme der Iiunst.
_ln Motiven, Ausdruck und Gewändern ist wenigstens ein Streben
zum Einlachcn unverkennbar. Seine Färbung ist bei heller Be-
leuchtung klar und wahr. Wenn ihm auch das unbedingt gezollte
Lob eines Regenerators der französischen Kunst nicht in vollem
Blasse zukommt, so muss inan_ihm sicher grosse Vorzüge einräu-
iiien, und den Muth loben, sich derinverderblichen Strome der
Zeit entgegen gesetzt zu haben. David ging auf der _von ihm ein-
geschlagenen Bahn fort, und gelangte zu noch grosserem Ruf,
ohne gerade immer Grösseres geschaffen zu haben, als Vien. Auch
andere Zöglinge dieses Meisters stiegen in der Folge höher, bis
endlich init Baron Gros auch die von Vien und David bezeichnete
Richtung unterging, wie wir ini Artikel des Horace Vernet ange-
geben haben.
Vien verweilte iii Rom bis 1750, musste aber damals noch im-
iner um eiiiengeringcn Preis arbeiten, da die von ihm angenom-
menen Grundsätze Widersprüche fanden, und erst zwanzig Jahre
später einstiinmiämngenoininen wurden. Im Jahre 1707i bei der
Ausstellung des ildes des heil. Dionysius, eines der Meisterwerke
des liiiiistlers, ehedem in St. Gcnieve, waren die Meinungen
noch getheilt, Didcrot sprach sich aber entschieden zu seinen Guii-
sten aus, und er fand in der Folge viele Naehbeter. Vien malte
in Rom ein Bild des lriinderniordes, welches er auf der Reise nach
jener Stadt coinponirt hatte. Dann malte er fiir den Procureur de
St. Lazare um 500 Liv. das grosse Bild, welches den heil. Franz
von Sales vorstellt, wie er die Frau von Chantal unter den Schutz
des heil. Vicenz de Paula stellt. Für die Capuziner in Tarascon
malte er sechs grosse Darstellungen aus dem Ijeben des heil. lVIar-
cellus, und erhielt fiir jede derselben 100 L_iv. Im Auftrage der
Stadt Mqntpellier malte er ein_ grosses Altarbild, welches den Pre-
diger Johannes vorstellt. Zwei treifliche Gemälde aus jener Zeit
sind im lYIuseum des Louvre. Das eine stellt St. Germain und St.
Vincent vor, wie ihnen der Engel die himmlische Krone bringt,
das andere einen schlafenden Eremiten von 1750. Dieser Ereiiiit
ist das Bildniss eines Venezianerä, welchen ein lYIord in die liutte
zwang. Er diente dem liiinstler als Modell. In dem bezeichneten
Jahre zeichnete dieser einen Fuss, worüber der Mann einschlief-
Diess bcniitzte Vien, stellte den Ereiniten in einer Landschaft ne-
'bcn dem Todtcnkopf schlafend dar, und gab ihm eine Geige in
die sinkende Hand. In acht Tagen war das Gßllllildß im Grosscn
ausgeführt, und der Minister kaufte es für den Iiünig. Der l'air-
sanias francais rühmt dieses Gciiiiilrlc wegen der Wahrheit, Naiveliit