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Vecellio ,
Tiziano.
als Non plus ultra ihrer Art erklärt wurden, während sie Giam-
bellino und Bunifacio Veueziano sicher noch schöner gemalt hät-
ten. Ridolfi und Zanetti glauben, dass dem Künstler dabei ein
antikes Relief mit Liebesgüttern zum Vorbilde gedient habe; a]-
lein Tizian hat noch viele andere herrliche liindergestalten ge-
malt, ohne der Antike zu bedürfen. Dieses Bild hat das Verdienst
der genauesten individuellen Wahrheit, und ist dadurch von (lra-
stischer Wirkung auf Kenner und Nichtkenner. Bei der Üeber.
letzuug nach Paris wurde es gereiniget, doch erscheint die ge-
wohnte Klarheit und Kraft der Farben ziemlich gedämpft.
In der Kirche der Jesuiten ist ebenfalls ein berühmtes Ge-
mälde von Tizian, die Marter des heil. Laurentius, welche unter
Napoleon das Central-Museurn in Paris zierte. Dieses Bild ist
von ergreifender Wahrheit. Den Contrast des Faclselglanzes und
des himmlischen Lichtes von oben konnte nur Tizian so herrlich
darstellen. Ferner wird in dieser Kirche auch eine Himmelfahrt
erwähnt, als sinnreiches Bild, voll Leben und Bewegung, wie
gewöhnlich in herrlichen Farben.
In der Scuola der Giesuasti war über der Orgel ein Gemälde
mit ungefähr 50 Figuren, 8; F. hoch, und 7 F. breit. Es stellt
Papst Urban V. vor, wie er den hl. Columbinus das Benediüiner-
Ordensgewand ertheilt. Im Jahre 1847 besass dieses Bild G. Finke
in Berlin.
In der Scuola grande bei S. Bocco ist eine Verkündigung
Mariä mit lebensgrossen Figuren. Der Ausdruck des inneren Ge-
müthszustandes und die Nachahmung der äusseren Natur können
nicht lebendiger und treuer seyn.
In der Kirche S. Salvatore ist eine Verkünäignng Mariä au;
der letzten flüchtigen Manier des Meisters. Der Besteller war
damit nicht zufrieden, und wollte "eine sorgfältigem Vollendung,
Endlich überdrüssig schrieb der Kunstler auf das Gemälde: T1-
tianus fecit, fecit. Auf dem Hauplaltar ist die Verklärung Chrisxi
mitcolossalen Gestalten der Aposßel. Dieses Gemälde hat nach-
gedunkelt, oder es liegt unter Staub und Bauch begraben.
Für St. Maria della Salute malte Tizian die Erscheinung
des heil. Geistes am Piingstfeste. Dieses Gemälde gehört in die
letztere Zeit des Künstlers. In-der Sakristei der Kirche sind am
Plafond drei Gemälde von Tizian befestiget, in welchen er mit
Michel An elo gewetteifert zu haben scheint. Der Ruhm des Letz-
teren erfiiältc damals hinsichtlich. der genauen Zeichnung de;
Nackten, der schwersten Stellungen des menschlichen Körper;
und der kühnsten Verkiirzungen tajien mit seinem Ruhm, und
Tiziaifs bekannter Künstlerneid könnte dadurch angeregt wor-
den seyn, ein Gleiches zu versuchen. Er malte für Madonna
della Salute den Tod AbePs, das Opfer Abrahain's und den er-
legten Goliaih in etwas colossalen Figuren. Sie sind nackt, und
zeigen die hervortretende und kllDSlYOii sich in einander verlie-
rende Musculatur kräftiger Manneskdrper in den mannichfaltig-
sten und foreirtesten Stellungen. Kühne Verkürzungen, dergleichen
sonst Tizian gerne vermied, sind dabei häufig und kunstgerecht
angebracht. Seine Leistungen in dieser Art sind hier wirklich
tadellos und grossartig, und stellen ihn dem berühmten Floren-
tiner würdig an die Seite. ln_ dieser Sakristei ist auch eine Ju-
gendarbeit von Tizian, ein Bild mit beinahe lebensgrossen Hei-
ligeii, etwas steif und kalt. Im oberen Raume erscheint St. Mar-