Volltext: Torre, G. - Veiss, R. (Bd. 19)

Vene-Hie , 
Tiziand. 
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lehensgrossen Heiligen in der Sakristei der Kirche Madonna della 
Salute zu Venedig zeigt. Ein anderes Jugendwerk des Meisters 
ist der Tobias mit dem Engel, ehedem in bt. Marziale zu Vene- 
dig, jetzt in der Gallerie zu Dresden, welchen auch Vasari er- 
wähnt. Die frühere Richtung Giorgionds sprechen Fresken aus, 
welche er an einer Seite des liauimannshauses in Venedig aus- 
fiihrte. Giorgionc hatte da etwas früher die Geschichte der Judith 
gemalt, und die neue von Tizian bemalte Seite fand man im Style 
dem Werke des ersteren so ähnlich, dass die meisten Kenner sag- 
ten, Giorgione habe sie bemalt, und sich darin sogar noch über- 
troffen. Dieses Lob nahm aber Barbarelli übel auf, und blieb 
dem Tizian sein Lebelang abgeneirrt. Ein ungemein schönes Werk, 
welches an der Gränze dieser Früliperiode steht, ist sein Christus 
mit dem Zinsgroschen in der Gallerie zu Dresden. Die Strenge 
der Behandlung erscheint hier bereits zur zartesten Durchbildung 
umgewandelt. In den Zeiten seiner glücklichen Kraft vereint sich 
sodann mit dieser Durchbildung ein freier, auf die Gesammtwir- 
kung berechneter Vortrag, und ein warmer und klarer Goldton 
verbreitet über seine sorgsam vollendeten Bilder einen Reiz, wel- 
chen kein anderer Künstler erreichte. -Die Sicherheit und Mei- 
sterschaft im Vortrage steigerte sich im Verlaufe noch immer, da- 
mit aber wird die Behandlung pastoser, und die Sorisarnkeit in 
der Ausführung der früheren Werke verschwindet. 'r näherte 
sich in den Lichtern mehr dem Weiss, in den Schatten einem 
iahleren Braun. Die Theile sind in solchen Bildern runder, aber 
minder hell und klar. Der Reiz und die warme goldene Harmo- 
nie ist daher nur ein Vorzug der früheren Periode des Iiünstlers, 
worin er von keinem IYIeister seiner Schule erreicht wurde. In 
der späteren Zeit hatte er bei seiner unübertreiTlichcn Meister- 
schaft zumeist nur die Gesammtwirkung im Auge, und zuletzt 
konnte er bei aller Praxis die Schwäche des Alters nicht verber- 
gen. Er ragte wie eine wankende Grösse in die Neuzeit herein. 
Die Werke dieses grossen Meisters sind zahlreich und man. 
nigfaltig, und erwarben ihm unsterblichen Ruhm. Vasari will ihn 
aber nicht als grossen Künstler anerkennen. Dieser Schriftsteller, 
dessen verdcrbliches Iiunsttreibeil wir an betreffender Stelle eben- 
falls geschildert haben, sagt, dem Cadorino fehle es zu sehr an 
der Zeichnung, um ein vorzüglicher Maler zu seyn. Vasari dachte 
dabei wahrscheinlich zu Gunsten seines göttlichen Michelangelo, 
welcher allerdings in der Zeichnung gelehrter, kühner ist; allein 
auch Tizian konnte in dieser Hinsicht, wenn er es wollte, dem 
Buonaroti nachkommen. wie ldiess namentlich die drei unten e- 
nannten Plafondbilder in St. Maria della Salutß Zu Venedig be- 
weisen. In mehreren anderen Bildern nahm es Tiziair freilich 
nicht so genau, dennoch beschämt er auf seinem naturalistischen 
Standpunkt überall den Meister Vnsari. Es tritt uns in Tiziarfs 
Werken nicht der rohe, auch im Unschönen sich gefallcnde N3- 
turalismus entgegen, sondern jener feine, durch das antikisirende 
Element der paduanischen Schule und durch ilandrischen Einfluss 
gewechte Naturalismus, der mit heiterem, mnddiebenswürdigem 
binne die Herrlichkeit der antiken liunst nicht in iiusserlich ge- 
treuer Nachbildung ihrer einzelnen Werke, sondern ihr inneres 
Wesen in der Tiefe eines vollen, freien Gefühls neugestaltet und 
neubelebt in die Gegenwart einführt. Dieser Grundzug der vßnß- 
tianischen Kunstrichtung tritt bei Titian am entschiedeusten an 
denjenigen Bildern hervor, welche den Menschen in seinem ur- 
sprünglichen Naturzustande erfassen. Ihr Gegenstand ist demge- 
Naglaflers 
Künst.  Lex. 
XIX. 
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