.496
Vecellio ,
Tiziano.
Der berühmte Egnatius soll ihn in der lateinischen und griechi-
sehen Sprache unterrichtet haben, allein seine Liebe zur Malerei
wurde von Tag zu Tag überwiegender, so dass das Studium der
alten Sprachen in den Hintergrund trat. Schon als Ilnabe von
acht Jahren malte er in den Tabernakel eines Hauses die M3-
donna mit dem Kinde, welche mit Beifall gesehen wurde. Un-
ter diesen kindlichen Iiunstübungen verflosseai noch zvirei Jahre,
bis ihn endlich der Vater nach Venedig schichte, um bei Gentile
Bellini die Zeichenkunst zu erlernen. Dieser Meister verfolgte
noch eine alterthümliche Richtung, und daher rerlicss ihn Tizian
nach wenigen Jahren, um sich dem liebenswürdigen Giovanni
Bellini anzuschlicssen, in dessen Schule er den Giorgione traf,
welcher, obwohl mit Tizian in demselben Jahre geboren, einen
solchen Einfluss auf ihn übte, dass Vasari ohne Bedenken unsern
Künstler zum Schüler Giurgionäs macht. Letzterer ist in seinen frü-
heren Werken, wie Tizian, entschiedener Nachahmer Belliniä, dann
aber schuf er sich mit einem eigenen poetischenfSinne ein Wültölfcß
Feld, auf welchem er den Keim zu einem frischen Leben erweckte,
das sich aber bei ihm in herber liraft und in eigentliümli.
eher Gluth aussprach. Dem '.l'izian_ blieb es nach dem frühen
Tode des Giurgione überlassen, die entschieden naturalistisch,
Richtung, als die Eigenthümlichkeit der venetianischen Schule,
auszubilden, das, was letzterer begonnen, zur vollendeten , klai
ren und freien Entfaltung zu brin en. Während in Boni unter
Rafael die höchste Reinheit und ärazie des künstlerischen Styls
sich zeigt, das Ideal seine Aputheose feiert, ist bei ihm eine höchst
lebendige portraitnrtige Auffassung der liervorstechendste Zug, und
macht mit einer durch) die nieisterlichste Handhabung der Oeluialei-ei
erreichten Naturwahrheit, Iilarheit, Wärme und Sättigung des C5.-
lorits, mit dem feinsten Gefühl für harmonische Farhenwirkung
und Ausbildung der Landschaft den Hauptreiz der venetianischeh
Schule. Waagen, Kunstwerke in England und Paris III. X55.
Es tragen aber seine Werke, je nach den verschiedenen Zei.
ten seines Lebens, einen verschiedenartigen Charakter, mehr in-
des: nur in Bezug auf das Aeussere der Behandlung, als in BQ.
zug auf das innere Streben, wie diess liuFlcr (Handbuch der
Kunstgeschichte S. 754.) geistreich entwiche t. In den wenigen
Bildern, die sich aus seiner Jugendzeit erhalten haben. erkennt
man noch das alterthiimlich.'strenge Gepräge der Belllllischen
Schule. Er ist sogar etwas steif und kalt, wie diess ein Bild mit
stellt, und nach diesen die VVerl-te des Meisters angegeben;
allein alle diese Schriftsteller genügen nicht mehr. Die Stand-
orte der Bilder sind grossentheils geändert.) Wir haben bei
Bearbeitung dieses Artikels nach zuverlässigen Quellen ge-
sucht, und eine Masse von zerstreuten, wo möglich urkund.
liehen Nachrichten verarbeitet, umso eine Uebersicht dessen
bieten zu können, was von Tizian sich findet. Das Kunst-
blatt ist als Fundgrube zu derlei Bearbeitungen zu betrachten,
indem da die competentesten Richter ihre Ansichten und Up-
theile niederlegten. Schurn, Gaye, Passavant, Förster, Waa-
gen, Kugler, Reumont u. s. w. waren nicht selten unsere
IPühi-er. Die Uebersetzuug der Biographien Vasarüs ist zu
dem Bande, welcher Tiziauä Leben enthält, noch nicht
fortgeschritten. Auch ist Vasari nicht vollkommen genü.
gend.