Schinkel ,
Friedrich ,
Carl
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Noch weniger aber kann von einer blossen Nachahmung grie-
chischer Architektur die Rede seyn, wo es sich uin grösserek Gom-
positionen im Style dieser Iiunst handelt. Das wesentlich Charak-
teristische der griechischen Architektur als solcher besteht eben
vorzugsweise nur in jener Siiulcnlialle, wie dieselbe z. B. die Fronte
oder gesarninte Umgebung der Tempel bildet; wenigstens sind uns
von anderweitigen architektonischen Compositionen nur sehr we-
nige Beispiele erhalten. Die griechischen Gebäude erscheinen uns
demnach, so weit wir sie kennen, vorherrschend als von sehr ein-
facher Anlage; wesentliche Unterschiede werden durch abweichende
Anlagen, durch coinplicirtere Aufgaben, durch eine Zusammenfü-
gung verschiedener hdassen zu einem grüsseren Ganzen u. dgl. lier-
vorgerutien. Hier werden die Details der griechischen Architektur
natürlich durch ihr Verhiiltniss zu einem veränderten Organismus
des Ganzen wiederum inannigtach modificirt werden miissen, wer-
den die Säulenstellungen selbst ott nur als mehr untergeordnete
Theile eines grüsseren Ganzen erscheinen. Natürlich kann unter
diesen Umständen gegen die Grundgesetze der griechischen Iiunst
gar arg gesündigt werden, im Allgemeinen aber sind ihre Formen
keineswegs in so enge Grenzen beschlossen, dass sie nicht auch
eine weitere Anwendung für veränderte Zwecke gestatten sollten,
dass nicht auch reichere: Compositionen im griechischen Geiste
durchzuführen wären.
Hiebei drängt sich uns indess eine andere Frage auf, 0b ni-iin-
lich die griechische Architektur bei ihrer mannigfachen Beweg.
lichlieit bei unsern Bauwerken überhaupt in Anwendung kommen
soll? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. gewiss ist der
griechische Ai-chilekturstyl nicht als der einzig und uberall gültige
unter denen, welche die Geschichte der Baukunst uns keimen
lehrt, zu betrachten; gewiss reichen die griechischen Formen, wie
sie uns vorliegen, nicht hin, um die ganze Reihe derjenigen räum-
lichen Eindrücke hervorzubringen, die wir heutigen Tages zu ei.
ner vollendeten Befriedigung unserer Existenz verlangen, so we-
nig, wie unsere Techiiiknund unser Bauiunterial sich überall ohne
Zwang diesen Formen fugen. Wir werden somit unbedingt für
mannigfache Fälle auch andere Formen zur Anwendung bringen
müssen. Doch können wir die Elemente des klassischen Alterthuins,
welches seit drei bis vier Jahrhunderten ein wesentliches Studium
geworden ist, nicht plötzlich zurückdrängen, nicht wie mit Einem
Schlage einen neuen Architektursiyl erfinden, .und statt des grie-
chischen Styls irgend einen aiideren_dcr Vorzeit (z. B. den gothi-
sehen) für unsere Zwecke adoptiren. Nicht minder ist auch der
Umstand in Erwägung zu ziehen, dass ein giitiges Geschick uns
erst in der jüngsten Vergangenheit die reinen Werke des griechi-
schen Styls keimen gelehrt hat, während derselbe nur in der rö-
mischen Nachbildung bekannt gewesen war; dass wir somit durch
1'135 Studium dieser Werke in den Stand gesetzt sind, jene geläu-
tefle Harmonie, jenes klare Maass, jenes feine Gefühl, Worin eben
die wesentlichen Vorzüge der griechischen liunst bestehen, wieder-
um iu uns aufzunehmen, und auch die neuen künstlerischen Elc-
menlß, die Wir für unsere heutigen Bedürfnisse anzuwenden für
nölhig Ende". im griechischen Geiste durchzubilden. Wir können
uns, falls unserer Iiunst eine grossartigere Zukunft entgegen kom-
men sollte, einen architektonischen Styl ins Leben eingeführt den-
ken, der auch In den Hauptformen sich als ein neuer und eigen-
thümlicher zeigte. dessen Behandlung aber nichts desto weniger
aus der griechischen Gefühlsweise hervorgegangen wäre. und des-
sen Werke Somit auf keine Weise fremdartig neben den Anlagen
Nuglefs Künstler-Lex- Bd. X V. 16