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Santi
Rafael.
chem Ernste Gegenstände der verschiedensten Art; er verehrte nicht
nur die höchste Schönheit in Gott. sondern freute sich auch ih-
res Abglanzes in den Wesen der irdischen Schöpfung. Ja selbst
das Hässliche, wenn es als Gegensatz, wenn es im dramatischen
Zusammenhange vorkommt, wusste er durch den im Ganzen durch-
wehenden Geist zu adeln, mit einer höhern Welt in Verbindung
zu bringen und ihr unterzuurdnen. Auch ist er bei aller Lebens-
lust stets keusch geblieben. Sein göttlicher Genius führt uns zu
einer vom Geiste durchleuchteten Natur, zu einer verklärten Welt.
Betrachten wir nun nach Passavant Rafaefs grosse Eigenschaften
etwas näher im Einzelnen, so iniisscn wir zuvörderst eben so schr
den iiberschwänglichen Iißitilltlltlll] seiner Phantasie, und seine grosse
Produhtionsliraft, als seine hlare Besonnenheit bewundern. Iiei der
grössten Mannigfaltigkeit, in welcher er mit der Natur selbst zu
wetteifern scheinhisterdochgleichdieserimmer conscquent,behiiltsei-
nen Gegenstand streng im Auge, vermeidet alles Fremdartige, so
reich er auch an Beziehungen ist, wodurch das VVesen des Gegen-
standes gehoben wird. Wie in einem Spiegel reflelitirt sich in ihm
die ganze Welt mit ihren verschiedenartigsten Formen. Er ging
daher nicht von einem vorgefassten Begriff aus; nicht nur eine Art
der Schönheit schwebte ihm vor, sondern er sah den Glanz des
göttlichen Strahls ii1 den mannigfaltigstcn Färbungen. Selbst seine
Madonncn sind unter sich höchst verschieden, je nach der Idee,
Ivelche ihn dabei erfüllte; aber stets edel, nie ein starres Ideal-
Iiann man nun auch nicht in allen die höchste Idee einer heiligen
Jungfrau erkennen, sondern berühren sie zuweilen mehr vncnsi-h-
liebe Seiten, so sprechen sie doch alle ein inneres Leben aus, und
erscheinen im höchsten Grade anmuthig. Diese frische Lebensfiille,
diese alles durchdringenden, wahren Grundideen in seinen Daf-
stellungen sind nach Passavant es hauptsächlich, welche denselben
die Macht der YVirliung verleihen, die in der Seele des Be-
schauers keinen Zweifel gestattet, ihn ganz in den umschriebenen
Kreis bannt und volles Geniigen finden lässt. Nach der Ansicht des
genannten Schriftstellers erhöhen aber noch ZWGiGIILlBPO Eigenschaften
in Rafaefs Darstellungsweise die Befriedigung, die seine Werke
gewähren: für's Erste die ungezwungene Symmetrie seiner Compa-
sition, für's Andere die grussartige Vertheilung der Lieht- und
Schattenmassen. Indem erstere das wohltbuende Gefühl des Gleich-
gewichts erregt, erfreut letztere durch Ruhe und Ordnung. So ver-
stand auch Rafael in einem lVIaasse wie hein anderer, sowohl dem
Ganzen, als den einzelnen Gruppen seiner Compositionen eine ge-
schlossene und gerundete Configuration zu geben, welche harmo-
nisch auf den Sinn wirhl; und der Seele ein bezauberndes Bild ein-
yriigt. Diese schöne Gestaltung und die grossartige Beleuchtung
sind es dann vorzüglich, wodurch die Gemälde Rafaefs sich mehr
als die aller anderen grossen Meister für den Iiupferstich eignen.
Dass Rafael derjenige Künstler ist, welcher am tiefsten und
reichsten die Charaktere dargestellt, und dem Ausdruck Seiner Iiu-
pfe, den Bewegungen seiner Gestalten das grosste und wahrstß
Leben verliehen habe, wurde bei der chronologischen Aufzählung
seiner Werke schon öfter bemerht, so wie seine grosse anatomi-
sche Iienntniss und das feine Gefühl des Lebens in Zeichnung
und Darstellung des Nackten gerühmt. In seinen Bildnissen tritt
auf überraschende Weise nicht nur die Aebnlichheit der äusseren
Gestalt, sondern auch, so zu sagen, der ganze innere Mensch hervor.
Unerreicht geblieben ist Rafael ebenfalls in der Behandlung iler
Bekleidung. Bei diesem schwierigen Theile der Kunst, welcher die