Santi
Rafael.
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ein kleines Haus iri Flammen, über dessen llrIauer sich eine Mut-
ter herahbüclst, um dem unten stehenden lNIanne den Säugling her-
abzureichen. Ganz vorn 1st die berühmte Gruppe des lträiftigen
Mannes, der nacht seinen nachten alten Vater aus dem Brande
trägt. und von seinem Iinaläen begleitet wird. Den mittleren Theil
des Vorgrulides nehmen mehrere Frauen mit liiridern ein, bewun-
derllngättdifflige Gruppen , und zur rechten Seite erblichen wir die
Bemühungen von Pvliinnern und Frauen. das Feuer zu löschen.
Von vorzüglicher Schönheit ist das VVeib, mit dem vom Winde
bewegten lqileide, welches einem jungen Manne zwei Gefiisse mit
Wasser reiChl, aber noch berühmter die Wlassertriigerin, die mit
einem YVassergefiisse auf dem liopfe die Stiege herabsteigt, deren
schöner NVuchs und mächtige Formen durch die storh bewegte
Kleidung auf das bestiininteste durchscheinen. Rafael zeigt sich in
diesem Gemälde als vollendeter Meister, der alles zu erreichen im
Stande ist. An drzimatischem Interesse, an Schönheit der Coinpusi-
tion, an Meisterschaft in der Ausführung wird dieses Bild Vßn
keinem seiner anderen überboten. Bei der Zeichnung des Nämli-
ten dagegen, die hier sehr in Anwendung ham, liess Rafael sich
mehr von dem Bestreben leiten, gleich wie Miahel Angele zu thuu
pflegte, ein gewisses Ideal der menschlichen Bildung darzustellen,
die in einer ungewöhnlichen Fülle besteht, als sich strenge an das
Studium der Natur zu halten. Da er liun nicht völlig die tiefe
anatomischen lieuntnisse, noch die verwaltende Grosshcit seines Ne-
benbuhlers besass, so können wir nach Passevant in einer gewissen
Beziehung in des Vasari Ausspruch einstimmen , indem dieser sagt:
wYVenn Raphael bei der Behandlungweise wie bei den Sibyllen in
St. Maria dclla Pace geblieben wäre, und nicht gesucht hiitte sie
zu ändern und grandioser zu halten, um zu zeigen, dass er das
Nackte eben so gut, wie lNlichel Angclo verstehe, so würde er
nicht einen Theil des hohen Ruhms eingebüsst haben, den er sich
erworben hatte; denn obgleich die nackten Figuren, welche er im
Burgbrand malte, gut sind, so kann man sie doch nicht in allen
Theilen vortrefflich ncniienu. So hart auch dieses Urtheil lautet,
da fragliche Figuren im Burgbrand immerhin als Meisterstiiclte gel-
ten miissen, so liegt nach Passavant doch das Wahre darin, dass
Rafael, der die Fähigkeit hatte, das Charakteristische und Eigen-
thiimliche in den Formen schärfer als irgend ein anderer Künstler
seiner Zeit zu erfassen und darzustellen, grösseren Ruhm bei der
Darstellung des Nackten erlangt haben würde, wäre er seinem ei-
genen Genius getreu geblieben, ohne den Prinzipien der Kunst
des Michel Angele solchen Einfluss bei sich zu gestatten. Diese
Ansicht Passavantfs erhält noch grüsseren Bestand, wenn wir Ra-
faePs Studien zu dem Manne, welcher seinen 'alten Vater trägt, und
zu dein sich herablassenden Jüngling in der Sammlung des Erz-
hßrlugs Carl betrachten, da diese von einer so charactervollen
Wahrheit und Schönheit sind, von einem so lebendigen und fei-
nen Gefühl der Zeichnung, wie sich diese Eigenschaften in solchem
Grade nur in den besten antiken Bildwerheu vorfinden. Hätte
llafael diese seine Kunst bei der Ausführung in Fresco unver-
rucht im Auge behalten, so würde er sich in seiner Eigcnthümlich-
hell, die Natur in ihrer grösten Mannigfaltigkeit zu erfassen, ebßP
S? unvergleichbar gezeigt haben, als Michel Angele in seiner nrl-
gtnellßl] Erhabenheit, oder wie dieser sagt, ein seinerIiunstu._Passa-
Eint durfte durch diese Auseinandersetzung einen Streit 1"_ df"
unsthritik geschlichtet haben, der seit Vasarfs Zeiten bis auf die
unsrigcn gedauert hat.
Am Sockel des Zimmer: sieht man sitzendeiFiguren von Fur-