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Santi
(Sanzio) ß
Rafael.
sehen wir auch in der Kunst neben. den schönsten Bliithen schm
den nahen Verfall, dem sie unterlag, sobald der Geist sittliche
Strenge und des höherenLebens entwichen war. Rafael ist indes
sen glücklich zu preisen, in einer Zeit gelebt zu haben, in dr-
cr selbst der edelsten einer mit so vielen edlen Geistern im eng
sten Verbande lebte, und durch sie getragen zu einer AtlSlJildun;
in der Kunst gelangte, welche nie von anderen ist erreicht wor
den, Von seinen gelehrten Freunden, welche sich längere Zeit an
Hofe Leo's in Rom befanden war der Graf Castiglioneeiner der vertrau
testen. Auch Pietro Bembo warßnfnelk gelehrter Freund, mitwelchexi
nach Bettinelli in der Latinität das Zeitalter des Augustus von neuen
begann. Nicht minder zugethau War ihm auch der als 'l'heolog
Kenner des Alterhums und Dichter ausgezeichnete Jacopo Sudo
leto. Die beiden berühmten venetianischen Schriftsteller Andre:
Novagero und Agostino Beazzano lebten in vertrautem Verliebt
mit ihm, so wie zwei der grössten Dichter ihrer Zeit: Jat
copo Sanazzaro und Antonio Tebaldeo. Mit Ariosto stand er ir
freundschaltlichem Briefwechsel. Unter BafaePs hohe Gönner sinr
die Cardiniile Rafael Riario und Gui_lio de' Medici zu rechnen.
dann der Canzeleipräsidexit Badassar Turini da Pescia, und Gio.
Bat. Branconio aus Aquila. Die beiden letzteren ernannte er selbs'
zu seinen Testarnentsvollziehern. Zu seinen hesoudern Gönnerr
ist dann auch noch Dovizio da Bibiena zu zählen, welchen Len X
zum Cardinal von St. Maria in Portico ernannte. Die meisten
dieser Männer hat Rafael im Bildnisse dargestellt.
Von den Werken RafacPs, welche er im Pontificate Leo X.
nusfiihrte, haben wir bereits dreier Frescobilder erwähnt, nämlich de!
beiden Wandbilder in der Stanza d'Eliodoro und der Propheten
und Sibyllen in St. Maria della Pace, und an diese reihen wir die
Bilder in Oel, welche Rafael während der Ausmalung des zweiten
Zimmers ausfiihrte.
Sogleich nach dem Regierungsantritt Leo's malte er das Bild-
niss eines ausgezeichneten Mannes, des Bibliothekars Tommaso
Phaedra Iughirami, welchen Alexander VI. als Gesandter an den
Haiser Maximilian schickte, der ihn zum Dichter krönte, und
ihm den Titel eines Plalzgrafen verlieh. Rafael malte ihn in der
rothen Kleidung eines päbstlichen Sekretairs mit der Feder in der
Hand. Neben ihm, zur Linken, liegt auf dem Pulte ein aufge-
schlagenes Buch, und vor ihm steht auf dem mit einem Teppich
hedekten Tisch ein rundes Tinteniass. Den Hintergrund bildet
ein grüner Vorhang. Es ist diess ein beleibter, stark sehielender Herr
von grösster Wahrheit des Ausdruckes. Die meisterhafte und sorg-
fältige Ausführung des Kopfes sind erstaunungsvvürdig, die Beleuch-
tung im vollen Licht und die schöne Medellirung der zartesten
Uebergänge erinnert auffallend an Holbe1n's Behandlungsweise.
Die etwas flach gehaltenen und stark lasirten Nebendinge schei-
nen Passavant Schülerarbeit. Dieses Meisterwerk ist im Pallast
Pitti zu Florenz.
Zu den fgrösseren Oelbildern, welche Iiafuel während dieser
Zeit malte, gehört das herrliche Altarblalt fur die Kirche S. D0-
menico maggiore zu Neapel. welches unter dem Namen der nMn-
dnnna del pescea bekannt ist. Maria sitzt auf einem Throne und
hält; das auf ihrem Sehoosse stehende Christkind, welches das
Händchen in das Buch des rechts stehenden St. Hieronymus legt.
Von der andern Seite her kömmt der Engel, welcher den jungen