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Santi
(SnIlZiÜ) g
Rafael.
In der Schule von Athen erscheint Rafael bereits all Meister, der
seines Stoffes sowohl als auch der technischen Tlehandlungsweise
gleichmässig Herr geworden. Hinsichtlich des Farheuauftrages, des
Colorits und der Totalwirkung scheint er bereits das Höchste er-
reicht zu haben. In der Wahl der Figuren dürfte er namentlich
dem Grafen Castiglione das meiste verdanken, allein mit welcher
Wahrheit und Lebendigkeit hat er einen der bildenden Kunst bei-
nahe widerstrebenilen Gegenstand dargestellt, wie scharf ist die
(Ihrirnlsteristils eines jeden einzelnen Philosophen, und wie klar
und sprechend das gegenseitige Yerhältniss der Figuren vor Augen
gestellt! Höchst bcwunderungsivurtlig ist er auch in der Anwen-
dung des antiken Costiims, welches damals noch weniger bekannt
war, als jetzt, und hinsichtlich der Auflassung und Darstellung
hat Rafael in diesem Bilde sich zu cinemso grossartigen Styl erho-
ben, dass das Werk als das ausgezeichnetste. welches der Meister
je hervorgebracht, angesehen wird. Und diess mit llecht, dr-nii
in ihm verbindet sich die aus der älteren Schule herühergebraclite
Strenge und Symmetrie mit der malerischen Richtung neuerer Zeit.
Die Charaktere sind alle tief empfunden und von der grösstcn
Nlnnnigtaltiglseit, aber nicht portrnitartig behandelt. Er fasste den
allgemeinen geistigen Charakter auf, und erreichte im höchsten
Grade das, was bei dem Aufschwung der Iitmst in Italien die al-
ten Nleister hauptsächlich anstrebtcn: die Verkörperung der Idee.
llii-i-mit verband er aber auch zuerst durchgängig jene li-eii-re, le-
bendigen: Behandlungsweise in den ljeiww-guiigen, in der Gruppi-
rung und in der breiteren Behandlung der Massen, was niit der
lleiicnnung des' malerischen Siyls bezeichnet wird. Diese liunst
hesuss zwdi- auch Leonardo da Vinci und Giorgiune, cs huldigtc
diesem den Alten unbekannten Style auch Michel Angclo bei al-
ler Ausbildung des plastischen Theilcs und der tiefen dienntnigg
des menschlichen Iiiirpers, aber iiii höchsten Grade war diese Kunst
llnfael zu eigen. Diesen aussernrdentlichen Fortschritt möchte Va-
sari vornehmlich dem Einllusse Michel Aiigelifs zuschreiben, und
es ist eine solche Einwirkung des grossen ltleisters auch nicht zu
läugnen, nur stellte Vasari in seiner Vorliebe lür den lflorentinirr
die Behauptung zu allgemein. Die Individualität RafaePs stand
mit jener Buonar0tti's in entgegengesetzter Richtung, und daher
folgt natiirlich daraus, dass, wenn Rafael etwas von lVlichel An-
gelo angenommen, dieses nur ein einzelner Tlieil der vielseitigen
Vorziigewar, woinitllatael seinen Geist bereicherte, den er aner nach
seiner Individualität umbilden musste. Auch verdankt er Scillcn
wahrhaften Ruhm durchaus nicht der Nachahmung seines Neben-
buhlers, wie denn n. a. das Bild des Propheten ISßiilS in S-_ Ago-
stino zu Rom, in dem die Art des Michcl Angele ain entschieden-
sten hervortritt, keineswegs als eines der gelungenercn Werke Ba-
tael's mehr betrachtet wird. Dieser Einfluss erscheint indessen erst.
nachdem derselbe den zuerst vollendeten Theil der Deckenmalcrci
in der Sixiina gesehen hatte, was mit den letzten Arbeiten RafaePs
im Zimmer della Segnatura zusammenfiillt. .Dass Rafael aus der
Betrachtung dieser Werke Nutzen gezogen , ist unliiugbar, tund es
finden sich sogar noch Zeichnungen nach denselben, wie die Er-
höhung der ehernen Schlange im Besitze des Hrn, Coke zu llolk-
hllm, und die Vertreibung aus dem Paradiese im Nachlasse Law-
wnce zu London. Vasari sagt, Brainante habe ihn heimlich in
die Capelle gelassen, was wohl möglich ist, da er ungestört nach
diesen Bildern skizzirte. Er gab sich auch dein Eindrucke,
den diese grussartigen Malereien auf ihn machen mussten, ganz
hin, und dass sie ihm einen tieferen Blick in das Wesen der