284
Santi ,
Giovanni.
Christuskinde liebreieh wendet. Dieses ruht mit dem Köpfchen auf
einem liissen, und wird gleichsam zum Scherze von einem En-
gel erschreckt, welcher dessen linkes Fiisschen berührt. Ein zwei-
ter Engel sucht sich seinen lrllinden zu entwinden. Dieses aller-
liebste Bildchen, das durch eine klare Landschaft zu beiden Sci-
ten noch an Heiterkeit gewinnt, hat leider etwas gelitten.
Scllliesslieh ist noch an ein Madonnenbild zu erinnern, womit
Giovanni sein" eigenes Haus geschmückt hat. Es befand sich, in
Frcsco gemalt, ehedem im Hufraume, wurde aber, um es vor dem
Verderben zu retten, ausgesagt, in die Wand des grösseren Zim-
mers eingelassen. Dieses beschädigte und stark ubemnalte Bild
wird öfter als Jugendwerk llafaefs bezeichnet. Es stellt die im
Profil auf einer Bank sitzende Madonna dar, wie sie das schlafende
Iiind an die Brust drückt, während sie sich in einem, auf einem
Lesepulte vor ihr liegendem Buche erbaut. Die liebliche Compu-
sition ist so schön gerundet und in sich geschlossen, dass sie selbst
Bafaefs nicht unwürdig wäre. Aber in dem feinen Profil und dem
beinahe tief melancholischen Zug am Munde der Jungfrau erkennt
Passavant ganz jenes dem Giovanni eigenthümliche Ideal. Auch
der Iiopfputz, ein leichter, mit einer Krause besetzter Schleier,
welcher den Hinterkopf und die Flechten des zuriickgestricheneu
Haares bedeckt, erinnert auffallend an den ganz ähnlichen der
Madonna in Cagli. Auch noch andere Kennzeichen findet Passa-
vant, welche für Giovanni sprechen, und dann spricht er auch die
Vermuthung aus, dass zum Bilde der Madonna die erste Gattin
des Meisters und die Frucht ihrer Liebe zum Vorbilde gedient
habe, so dass also das Madonncnbild seines Hauses um 1484 ent-
standen seyn musste. Zehn Jahre später, den ersten August 1494
starb der liünstler, noch im kräftigsten Mannesalter. In der Fran-
ciskaxierkirche, wo seine Werke noch heute eine der grössten Zierde
sind, ruhen seine Gebeine.
Giovanni Santi nimmt unter den Künstlern seiner Zeit eine
würdige Stelle ein. Diese hielten in der Composition noch an der
seit Giottu üblichen symmetrischen Anordnung fest, erstrebten aber
im Einzelnen mehr Naturtretxe und eine genauere Ausbildung nach
dem Wirklichen, wodurch die einzelnen Gestalten mehr Indiridua-
lit-it erhielten, und je nach der Eigenthiimlichlteit des Meisters
auch im Charakter weiter ausgebildet wurden. So kann nach Pas-
savant I. 45. namentlich nicht in Abrede gestellt werden, dass Gin-
vanni in letzter Hinsicht öfters ergreifend ist, in der Darstellung
sowohl würdiger, ernster Charaktere, als reizender Anrnuth, be-
sonders in den Kindern. Indessen muss auch zugegeben werden,
dass er weder die Gründlichkeit in Zeichnung und Perspektive des
von ihm so gepriesenen Andrea Mantegna besass, noch den Lieb-
reiz eines Francesco Francia, noch den männlichen Ernst eines
Luca Signurelli oder den kühnen Schwung seines Freundes Me-
lozzo da Forli. Er kann daher unter den Künstlern seiner Zeit
gerade nicht zu den ausgezeichnetsten _gezählt werden, welche eine
neue Bahn gebrochen, wohl aber gehört er zu jenen gewissenhaf-
ten, mit Talent begabten Malern, welche überall das Gute erken-
nend, nach Kräften es sich anzueignen streben und Werke gelie-
fert haben, welche Anerkennung verdienen und erhalten werden,
so lange der Sinn für sittliche Schönheit bei den Menschen leben-
dig bleibt. So ilebe dann, sagt Passavant Schliesslich, sein durch
Unkenntnis: öfters misshandeltes Andenken auch wieder bei uns
als ein ehrenwertbes auf, nicht nur wie es ihm- wegen des Ruhmes,
der Vater des grössten aller Künstler zu seyu, geworden ist, son-