Pilgram ,
Anton.
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volles Werk. das vielleicht eher vollendet werden ist. als die Kan-
zel. Letzteren sieht man ungefähr in der Mitte des Schiffes an der
linken Seitenwand, sich wie ein Bluincnkelcli aus einer Knospe
von unten nach oben ausbreiteiirl. Dieser Chor, dem Passionschm-
gerade gegcmiberstehend , trug vor Zeiten, wie jener, eine kleine
.033]; seine Gallerie ist von Aussen mit leicht und zierlich ver-
schlungenen Spitzbogen ohne Figuren geschmückt. Da wo der
Chorfuss aus der Knospe hervortritt, sieht man ein durch Alter
und Staub geschwiirztes hocherliobenes Brusthild eines alten Man-
nes, der aus einer genau mit dem Bau des Chortusscs zusammen-
hängenden feiisteri-ihiilichen Oeflnung heraussieht. Er liiilt in der
rechten Hand einen Zirkel, in der linken ein Winkelmass. Seine
buschigen langen Haare wallen über Stirne, Bücken und die Sei-
ten des Hauptes herab, welches mit einem vorne aufgestiilpten Ba-
rett bedeckt ist. Sein Hals ist unbeileckt, das Oberkleid hat weite
faltige Aermel, das Unterkleid, eine Art VVcste, ist an der Brust
init Scliniireu oder Riemen zusanimengeheftet. Das magere unbär-
tige Gesicht hat ungemein siniiige, ausdrucksvolle, starke Ziige,
tiefliegeiide Augen, hervorragende Backenknochen, eingefallene
Wangen, einen breiten Mund mit aufgeworfenen Lippen, und ein
sehr starkes liinn. Die Ursache, warum didses Denkmal friilier
beinahe unbeachtet geblieben, ist theils das Unscheinhai-e und die
Schwärze des Bildes, theils seine beträchtliche Entfernung es
steht in einer Ilöhe von etwa zwei Iilaftern vom Boden und
die Dunkelheit des Ortes, da es weit voiii Fenster, in einer Ecke
der VVand angebracht ist. Erst 1816 wurde auf Veranlassung de:
Kronprinzen Ludwig von Bayern, bei dessen Anwesenheit in Wien,
eine Gypsform davon genommen, und ein Abguss in der k. k. Aka-
demie der liiinste zu Wien aufgestellt. Jetzt fand man, dass in
diesem Bildnisse eines der herrlichsten Denhmale der Iiunst des
Mittelalters aufbewahrt sei, wiirilig den Meisterwerken jeder Zeit
an die Seite gesetzt und als Muster der Nachahmung aufgestellt
zu werden. Das Bild vereint die entschiedenste Kühnheit und Si-
cherheit des Meissels mit einer lebensvollen Wahrheit und VViirde,
wie sie nur der Meister über seine Schöpfung zu verbreiten ver-
mag. Dicss könnte nun das Bild Pilgranfs seyn," der den Biss
zum Orgelchore, den er hier, nach der Darstellungsweise jener Zeit,
auf dein Bücken trägt, entworfen, und dessen Bau geleitet hat.
Dass es ein Werkmeister ist, beweisen seine Werkzeuge, die er
in den Händen hält. An dem Chorfusse befindet sich das Zeichen
VI, welches auch an der Iianzel vorkommt, und unterhalb sind
die von späterer Zeit erneuerten Buchstaben M. A- P-jbieister
Anton Pilgrain). S. die Abbildung in Horinayi-G GESChlChiß von
VVien, II. Jahrg. I. H.
Das zweite Bildwerk im Innern der Kirche, dessen Anordnung
man immer dem Pilgrain zuschrieb, ist die herrliche lianzel . Wel-
che an einem der mittleren Pfeiler der Ünterkirche angebracht ist.
Die aus Stein gehauene Brüstung, P1155 11m1 'l'l't'ppe dieses Mei-
stcrwerkes, so wie das aus Holz geschnittene, vielleicht jüngere,
Dach der Kanzel, von wundervoller Arbeit, sind von unten his oben
mit: den schönsten, grossen und kleinen Figuren von Heiligen,
mit Aesten und Zweigen geschmückt. Die Brüstung, oder die ei-
gentliche Kanzel, enthält nach Ausscn vier mit durchbrochenem
Zierwerk bedeckte Vertiefungen , aus welchen, wie aus Fenstern,
die hoch erhabenen, fast lebensgrossen Brusthildcr der vier Kir-
chenlehrer, jeder in dein ihin zukommenden Ornate und die Arme
auf Bücher gestutzt, hervorschauen. Man erkennt darin den Meie
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