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Moitle ,
Jean
Guillaume.
ckene Manier annehmen, der es zwar nicht an VVahi-heit, aber an
Erhabenheit und Grösse gebrach. Folgte er seinem zweiten Leh-
rer, so ermangelteil seine Arbeiten der Reinheit und der Wahr-
heit. Er bildete sich also selbst, übertraf le Meine in jeder
Jxlinsicht, und hatte einen bessern Styl als Pigallc. Gleich anfangs
machte er schnelle Fortschritte in den Schulen der Akademie; im
Jahre 1766 empfing er Preismedaillen, den Preis liir den Kopfnus-
drnck. (täte d'expression), und den zweiten grossen Preis. D61:
Verdruss. nicht den ersten erhalten zu haben, der ihm dann zwei
Jahre später zu Theil wurde, wirkte sehr narhtheilig auf seine
ohnehin schwächliche Gesundheit, so dass er später (1775) Rom
verlassen musste, ohne die Studien vollendet zu haben, welche
für den Gehalt und die Richtung seines Talentes entscheidend seyn
konnten. Der Hummer, Italien unter solchen Verhältnissen ver-
lassen zu müssen, (denn Rom und die alten Meisterwerke hatten
seine Augen geöffnet), war so gross, und wirkte so furchtbar auf
ihn, dass bei der Rückkehr über den lWontcenis nur die sorgsame
Aufsicht seiner Begleiter ihn von Angriffen auf sein eigenes Le-
ben zurückhalten konnten. In der häuslichen Ruhe, deren er
nach seiner Rückkehr genoss, zeichnete lVIoitte mit der Feder ver-
schiedene grosse, in schönem Styl entworfene Friese, die bei den
Iiiinstlcrn Aufsehen erregten. Konnte er gleich in Rom wegen
seinen Iirankheitsanfiillcn weder mbdelliren, noch in Marmor ar-
beiten, so waren darum sein Iiopf und seine Zeiehnungshefte nicht
leer geblieben. Der königliche Goldarbeiter Auguste verband sich
mit ihm, um jene Zeichnungen für seine schönsten Werke zu cr-
halten, die ihm einen bedeutenden Vorrang vor allen übrigen
Iiunstgenossexi sicherten. lYluitte lieferte Vielleirht bei tausend sol-
cher Zeichnungen, und theilte dadurch einer Luxuswuare, in wel-
cher grosse Meister sich jederzeit auszeichnetcn, ein Verdienst veic-
der mit, das sie in Frankreich seit länger als einem Jahrhundert
verloren hatte. S0 galt Moitte nunmehr für einen, in Ilinsichl
auf Styl, Reinheit und Composition, sehr vorzüglichen Zeichner;
diess machte ihn aber noch nicht zum Bildhauer. Im Jahre 1785
wurde er Beisitzer der Akademie, um aber wirkliches lllitglied der-
selben zu werden, war ein in Marmor gearbeitetes Aufnahmsstüclä
erforderlich, eine Sache, die er bis zum Ausbrüche der Revolution
verschob, wo sich die Akademie auflöste. Die Gelegenheit, wo
Moitte seine ganze Stärke erproben konnte, zeigte sich nun end-
lich, als im Jahr 1792 die Kirche der heil. Genoveta eine neue
Bestimmung erhielt. Ihm wurde der grosse Fronten übertragen,
wozu die Zeichnungen seiner schönen Friese ihn empfohlen hat-
ten. Durch dieses Werk, welches das schönste Denkmal dieser
Art ist, das die neuere Kunst bis auf ihn zu Stande brachte, grün-
dete der Künstler den Ruhm bei der Nachwelt. Dieses Basrelief,
von ausserordentlicher Grösse, ist ein Gegenstand ungetheilter Ach-
tung, und seiner Vorzüge wegen allgemein bekannt. Die Iiirche
wurde in ein Pantheon umgeschafien, und so stellte der Künstler
das Vaterland vor, das an die Bürgertugend und an das Genie
lironen vertheilt. Dahin bezogen sich auch alle Bilclsiiulen und
Basreliefs, welche von aussen und im Innern den Tempel schmück-
ten,- die aber 1850 in der Juliusrevolution sehr beschädiget wur-
den. Eben dieser Künstler verfertigte auch die Statue CassinPs, die
ein seltenes Verdienst in den nackten Parthien hat, und seinem Ur-
heber zur Ehre gereicht. Das vollkommenste seiner Werke ist
aber vielleicht eines der Basreliefs des Louvre. VVas er an Wissen-
schaft, Styl und Geschicklichkeit vermochte, hat er auf diese Ar-