Volltext: Meglinger - Müller, Jan. (Bd. 9)

tikc; er verlangt Wahrheit der Färbung, Glanz und Wirkung, 
und stellt Titian und Correggio zu Mustern auf. Das ist nun Al- 
les gut, flihrt Speth fort; aber warum die Schönheit der Form nur 
am Steine, die Farben und Idarbenwirltung nur im Gemiildersu- 
chen? Soll es mehr seyu als Natur, was beide geben, so ist zu 
fürchten, dass es weniger als sie, wenigstens die Natur nicht mehr, 
wie sie zu wählen ist, die ungekiinstelte, so lebendig und cha- 
rakteristisch, wie sie zur Individualität bei künstlerischen Darstel- 
lungen passt. Ist es aber die Natur selbst, warum soll man sie 
nur aus der Nachahmung  selbst der besten  und nicht unmit- 
telbar aus ihr ziehen? Kurz die Alten sind von der Natur ausge- 
gangen, sie hatten kein anderes Muster, durch sie allein sind sie 
geworden, was sie sind, und dieser Weg ist auch den Neuem 
nicht verschlossen; nur Inögen sie werden, was jene waren. 
Um in Aufzählung der verschiedenen Meinungen über diesen 
Künstler so ziemlich chronologisch zu verfahren, müssen wir jetzt 
auf die Beurtheilung in der neuesten Beschreibung Roms von Ger- 
hard, Bunsen etc. I. 568 ff. aufmerksam machen, da die gelehrten 
Verfasser über den Künstler und seine Itiriifte sich ausführlich ver- 
breiten. Dass lsmaePs eiserner Wille in Rafael einen Maler ge- 
schalfen, ist unliiugbar, "aber" hcisst es in dem erwähnten Werke, 
„nie vermochte er durch Zwang seinem Sohne den Geist zu erthei- 
len, der durch seine über allen menschlichen Willen erhabene 
Schöpfungskralt, das Schöne, Trefiliche und Lebendige erzeugt, 
wodurch allein, vermittelst der Hunstdarstellung, Herz, Sinn und 
Phantasie erregt und ergriffen werden kann. Diese göttliche Gabe, 
die man unter dem Namen Genie begreift, war Menesen völlig 
versagt, und weniger Einbildungskraft, als er, hat vielleicht kei- 
ner unter den namhaft gewordenen Künstlern besessen. Auch Ta- 
lent, als angeborne Geschicklichkeit im Gebrauche der Mittel zur 
Darstellung, hatte er nicht in bedeutendem Grade von der Natur 
erhalten. Was er leistete, verdankte er daher vornehmlich dem 
Studium und unaufhörlichem Fleisse, und einem durch Scharfsinn 
und Urtheilskraft erworbenen Geschmack. Doch war es ihm bei 
seinem Bestreben der Kunst, eine veränderte und bessere Richtung 
zu geben, sogar m der Theorie unmöglich, sich über das Princip 
der Nachahmung zu erheben. Er erneuerte daher den Eklekticis- 
mus der Carracci, zwar genauer bestimmt, und auf die Nachah- 
mung nur weniger ausgezeichneter Vorbilder beschränkt, zeigt aber 
in der praktischen Anwendung dieser lYIethode weit weniger Ta- 
lent als diese Künstler. Den Rafael sollte man nach seiner Theo- 
rie, in der Composition und im Ausdruck, den Curreggio in der 
Totalwirkung der Farben und in der Beleuchtung, den 'l'izian in 
der Wahrheit des Colorits, und die Antiken in der Schönheit der 
Form zum Muster nehmen. Dabei wurde jedoch die Darstellung 
der körperlichen Schönheit, ohne Rücksicht auf den wesentlichen 
Unterschied der Malerei und Sculptur, als der höchste Zweck der 
Iiunst, und daher die Antike unbedingt als höchstes Vorbild der- 
selben aufgestellt. 
Das vorzügliche Bestreben des Mengs, Schönheit der Form im 
Charakter der antiken Sculptur zu zeigen, war es denn auch vor- 
nehmlich, warum seine Verehrer kein Bedenken trugen, ihn über 
alle Künstler neuerer Zeit zu erheben. Diese Lobpreisungen, ver- 
bunden mit der Neuheit der Erscheinung einer völlig veränderten 
Iiunstrichtung, erwarben ihm einen so ausgebreiteten Ruf, als vor 
ihm nicht viele Maler in ihrem Leben genossen hatten. Dieser 

	        
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