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Goltzius,
Heinrich.
Grade aus, auf welchem sie als materielle Beschäftigung, als Bear-
beitung des Iiupfers mit dem Grabstichel, unser Erstaunen erregt.
Er ist LYIeister der Strichinanier, wenn wir die Meisterschaft auf
die materielle Arbeit beschränken. Die Freiheit seiner Schrathre,
die Glätte und Reinheit seiner Striche, die Gewandtheit in den
Lagen derselben, wie er dies im Protrait seines Lehrers Theodor
Coornhärt und in seinem eigenen Bildnisse zeigt, wird ein Muster
für alle bleiben, die sich in der Kunst des Stiches üben wollen.
Ehen so meisterhaft zeigte er sich in der zarten Arbeit, wo die
feinsten Striche vor dem Auge zu leichten durchsichtigen Schatten
in einander verschmelzen, wie wir an seiner Venus mit Amor, und
,am Fahnenträger bewundern müssen. Auch er war einer von den-
jenigen, welcbe, wie Bernhard Picart, die Welt durch Nachahmung
einer fremden Manier zu täuschen suchten. Durch 6 Blätter: die
Verkündigung Mariä, in Rafaelischer Manier, die Heimsuchung, die
Beschneidung Christi, im Geschmaclse I)iirer's, die Anbetung der
Weisen, in der Manier des Lukas von Leyden, die Anbetung der
Hirten, im Geschmacke des Bassano, eine heil. Familie, worin er
den Friedrich Barroccio nacltahmte, Blätter, welche seine Meister-
stiicke ginaiint werden, trat Goltzius in Wettstreit mit den an-
erkannt besten Meistern. In der Beschneidung hat er Dürrr und
in der Anbetung der Könige Lukas von Leyden, wenigsttns er-
reicht, wo nicht übertroffen. So siegreich er aus dem Wettstreit
hervor-ging, wo es auf Erreichung einer künstlerischen Fertigkeit
ankam, so nachtheilig muss der Vergleich zwischen seinen und den
Werken solcher Meister ausfallen, wo das Geistige das Allein-
herrschende ist, und die Technik undkDarstellung ganz von je-
nem bestimmt und bedingt wirdf So zeigt das Blatt in dieserFolge,
auf welchem er die Verkündigung darste lte, wie er nicht hloss Ra-
fael missverstanden, nein, wie er seine Ahndung von jenes Künstlers
Geist gehabt hat. Wie fest auch vor ihm das Heiligthutn derliunst
verschlossen blieb, da er es immer ausser sich und immer auffrem-
der Spur suchte, wie dies aus seiner Nachahmung des Lucas von
Leyden, (dieLeitlensgeschichtellesu in einer Folge von 12Blättern)
und einer hyper-michelangelo'schen Zeichnung zu ersehen ist, so
war doch in ihm ein Drang zum Edlen und Grossen , der nur nicht
als erwärmendes, reifendes, sondern als zerstörendes Feuer an sei-
nem Leben zehrte. Den Rückweg zum verlorenen Paradies such-
ten viele vergebens, und mit Rafael und seinen nächsten Nachfol-
gern war das hocbbegliickte Geschlecht ausgestorben. Doch ist eS
Goltzius, welcher die Arbeit inil: dem Burin zu solcher Vollkommen-
heit brachte, dass die Iiupferstecherei nun eine eigenthiimliche Kunst
wurde und von der Malerei sich losriss. Da aber die Kupferste-
cherkunst auf denr Standpunkt, wohin sie Goltzius getrieben, S0
grosse, fast ausschhessliche _Uebung_ erforderte, bedienten sich die
Maler zur Vervielfältigung ihrer Skizzen nur noch der Radirnadel,
und gewöhnten sich an. flüchtige Entwürfe. Von nun an zerfallt
die Iiupferstecherkunst in zwei Abtheilungen: in eigentliche Ste-
cherkunst und Badirung. Vgl. I. G. von Quandfs Entwurf zu einer
Geschichte der Kupferstecherliunst._ S. 68 ff,
Nachrichten über das Leben dieses Künstlers gibt uns C. van
Mander, und diese verdienen wohl das grösste Vertrauen, da sie
von Goltzius Zeitgenossen kommen. Sanclrart und Descainps ha-
ben ebcnfalls biographische Notizen über diesen grossen Künstler
gegeben. Das Urtheil des Levesque über die Leistungen des H-
Goltzius gibt auch Bartsch in P. gr. III. 7 ff. Dieser Schriftsteller
beschreibt auch die Blätter dieses Künstlers in einer Anzahl und Ge-
nauigkeit, wie nirgends zu finden. In der Zeichnung folgte GOlIT-lllä