sie gaben nur im Allgemeinen die menschliche Gestalt, oft groß-
artig und bedeutend, aber es fehlte den Figuren in ihrer statuari-
Sehen Haltung und durch den Mangel an Umgebungen das Motiv
der Bewegung und dadurch des Ausdruckes, der auch m ihren
Gruppen unvollkommen erscheint. Diesen Mängeln begegnete die
Eycläsche Schule durch die Aussenwelt, die Handlung, die jnanllig-
Taltige Beziehungen der Gestalten auf einander, wodurch die Kunst
ungemein bereichert und zu einer höchst bestimmten Eigenthum-
lichkeit ausgebildet wurde. Durch die Brüder van Eyck geschahen
in den Niederlanden ungleich wichtigere Schritte in der Ixunst,
als in Italien durch Angehen da Fiesole und Massaccio. Die Werke
der erstem haben dieselben Vorzüge, welche wir in jenen der Ita-
liener rühmen, und darüber noch eine sehr achtbare Iienntniss von
Luft- und Linienperspektive, ein ausgebreitetes Studium der ver-
schiedensten Naturgegenstände, und somit zeigen sie eine unge-
meine Ausführlichkeit und Vollständigkeit der Darstellung. Dazu
kommt noch der hüchste technische Vortheil in der Malerei: ölige
Substanzen, statt die fertigen Bilder damit zu überziehen, unter
die Farben selbst zu mischen, bei einem den Brüdern van Eyck
von der Natur verliehenen ungemeinen Farbensinn.
Johann van Eyclfs schöpferischer Genius wagte "es den Gold-
grund zu verlassen, und dadurch einer Weise zu entsagen, wel-
cher seine Vorgänger Jahrhunderte huldigtexl. Der Goldgrund nimmt
bei ihnen die Stelle des Himmels und des I-Iintergrundes ein, er
aber entäusserte sich desselben nach und nach gänzlich, und an
seine Stelle setzte er dasjenige, was unsere schöne Erde schmückt:
Landschaft, Felsen, Gebirge, Gewässer, Pflanzen, Bäume u. s. w.
Er wendete die erworbenen mathematischen Kenntnisse zur Behand-
lung der Ferne an, und seine jetzt in freien Iliiunlen sich bewe-
genden Gestalten gewannen VVärme, Leben und Eigenthümlichlseit.
Hochgewölhte architektonische Räume, Durchsichten in endlos sich
variierende Strassen, enge Felseuthiiler und bis in die blaue Ferne
sich hinerstreckende blühende Gegenden, stellte Johann van Eyck
von nun an mit vollkommenster Sicherheit und möglichster Natur-
wahrheit dem Auge dar, während seine nächsten Vorgänger, selbst
Meister Wilhelm von Cöln, eine solche Möglichkeit nicht ahne-
ten. Sein Vorbild und seine Lehrerin auf diesem Wege war ein-
zig die Natur, und man möchte fast glauben, dass ihm die liennt-
nisse der Perspektive wie durch höhere Eingebunv geworden. Er
brachte es hierin zu grösserer Vollkommenheit, als seine Zeitve-
nossen Piero della Francesca (1598 148i) und Paolo Uceellß
(1389 1472), welche nach LanzFs Versicherung die ersten seyn
sollen, welche unter den Neueru die VVissenschaft der Limenper-
spektive in Beziehung auf die lVIalcrei in Aufnahme brachten. Die
beiden Italiener schrieben über die Regeln dieser Kunst, doch blie-
bcn ihre Werke nur im Manuskripte. Der Vorzug, den ihnen
Lanzi einräumt, gebührt ihnen nur in Bezug auf ihr Vaterland,
und wahrscheinlich waren es die Werke des J. van Eyck, welche
sie dem Studium einer Wissenschaft zuwendeten, die der Nieder-
länder früher als diese zur Vollkommenheit brachte, in einem Zeit-
raume, der früher eintritt, als die Reife Uccellds und Franeesczfs;
denn Johann van Eyck war 1445 schon gestorben, während diese
noch viele Jahre darnach dem Studium oblagen. Die Erscheinun-
gen der Perspektive bei den Italienern jener Zeit sind mangelhaft;
sie zeigt sich aber in ausserordentlicher Ausbildung in den Land-
schaften und architektonischen Räumen des Johann van Eyck. Er
wandte sie auch in grösster Feinheit auf den menschlichen Kopf
an. Man darf also annehmen, dass dieser Künstler es war, d"
Nagleris Künstler-Lax. 1 V. Bd. 12