Dürer , Albrecht.
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theuerlichste Phantasie in den Figuren der Teufel. Indessen ist
auch der grosse Urbinate nicht ganz von dem Vorwurfe des Phan-
tastischen frei; man erinnere sich nur an die abcntlieuerlichen Ge-
stalten im Gemälde mit der kleineren Darstellung des heil. Michael
im h. Museum zu Paris. In der grossen Passion finden wir auch
eine Cunipusition, die den durchdaehtcsten der grussen iißlißllh
sehen Meister an die Seite zu stellen ist. Es ist dieses derLeich-
1mm Christi, der nach der Abnahme vom Kreuze von den Seinigen
betrauert wird. Diese Compositiun ordnet sich in grösstei- Ein-
fachheit zur vollendetsten Gruppe, und wie mittelmässig auch der
Holzschneider der Platte erscheint, so ist doch der verschiedenar-
tigste Ausdruck _der einzelnen Gestalten, eine höchst eigenthümliche
Anmuth in Linien und Bewegungen, nicht zu verkennen. Vor sol-
chen Werken, Sagt Dr. Iiugler, begreift man es sehr deutlich, wess-
halb die sPätc-ren Italiener einen so hohen Werth aut'Di.irer's Com-
pnsitionen legten, und wie erspriesslich sie eine Uebersetzung der-
selben ins Italienische finden mussten.
Zu den schönsten Compositionen in der kleinen Passion gehö-
ren: der Abschied Christi von der Mutter, ausgezeichnet durch
Schöne feierliche Gewandung; die Fusswaschung, mittrelflicher An-
ordnung der zahlreichen Figuren im kleinen Raume; Christus am
Uelberg, eine Gestalt von der hiichsteil Würde, Schönheit und voll
des tiefsten innigsten Gefühls; Christus, wie er nach der Auferste-
hung der Mutter und der Ivlagdalena erscheint, zwei Compositi-u-
nen von eigenthiiinlicher Anniuth und schlichter Schönheit.
Diese beiden VVerke bewegen sich in einer grossartigen tragi-
schen WViirde, in dem Leben der Maria aber tritt mehr das Element
der Aninuth und Gemiithliclikeit hervor. Hier werden wir in die
zarteren häuslichen und gesellschaftlichen Verhältnisse des Lebens
eingeführt, und in ihnen zeigt sich der Meister in einer Liebens-
würdigkeit, die in der That wenig ihres Gleichen hat.
Compositicmen von vorzüglicher Schönheit sind: Joachim und
Anna wie sie sich in den Armen halten, der erstere ein milder ho-
her Greis, Anna voll der holdseligsten Weiblichkeit und Hinge-
bung; die Geburt der Maria, eine Darstellung voll anziehendster
Naivetät, eine Wochenstube mit zahlreicher Versammlung von
Frauen und Mädchen aus Nürnberg; die Beschneidung, eine ge-
uiiithvulle Darstellung einer eigenthiimlich durchgebildeten natio-
nalen Sitte, die sich häulig selbst bei bedeutenden Meistern der
Abgeschinaclitheit anniihert; die Flucht nach Ae ypten, eine Dar-
stellung in welcher Dürer, so wie in der voiäiergehenden seine
grosse Iiunst in der Anordnung gezeigt hat. Die Beschneidung
ist figurenreich, aber es 1st doch nichts überflüssig, jeder ist bez
der Handlung interessirt, und das Ganze ordnet sich ohne Zwang
in mehrere einfach verständliche Gruppen; in der Flucht ist der
Baum mit wenigen Figuren in geschickter Weise gefüllt, und die
Anmuth eines dichtverwachsenen früchtenreichcn Waldes, durch
welchen die heiLFamilie hinzieht, erhöht aufeigenthümliche_Weise
den Liebreiz des anziehenden Gegenstandes. Besonders 111 rühmen
sind noch: der Aufenthalt der heil. Familie in Aegyptßn. in den
Ruinen eines alterthiimlichen Pallastes; Joseph mit Zilnmerwerk
beschäftiget, wie ihm eine Menge kleiner Iiinderengel im lustigen
Spiele helfen, ein Bild von anmnthigster Ruhe und ungetrubter
Heiterkeit; der Tod der Maria, eine Composition von schöner 52'
ordnuug mit edlen Figuren, und durch die Andeutung des Q1918"
sten Geliihls bei der feierlichen Ausübung geheiligter Gebfüllcllß
eine der ausgezeichnetsten des Meisters. Sie wurde mehrfach VOR
lYaglez-Xs Künstler-Lear. III. Bd. 33