Cornelius ,
Peter,
Bitter
VOIL
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den Erlösers ist nicht jener leidenschaftliche Affekt und die hef-
tige Bewegung, die in Michel-Angelds Darstellung desselben Ge-
genstandes, obwohl mit bewvunderungssvürdiger Iiraft und uberra-
sehender Unmittelbarkeit hervortretend, störend auf eine christliche
Empfindung wirkt. Jede wirkliche jede andere als nur
symbolische Handlung ist unverträglich mit der heiligen des Christus,
welcher zwar an seine Zukunft den Eintritt der vollkommenen Ver-
geltung knüpft, doch aber zu wiederholten Malen sagt, er sei
nicht gekommen zum Gerichte, er richte Niemand, sondern wer
an ihn nicht glaube, der sei eben dadurch, dass er nicht glaube,
schon gerichtet, und das Wort, das er, der Heiland, zu den Men-
schen geredet habe sie zu erliisen und selig zu machen, werde die
Ungläubigen und Uufolgsamen richten am jüngsten Tage. Dieser
Idee gemiiss darf ihn die milde Ruhe des Geistes, welchem gegeben
ist alle Gewalt des Himmels und der Erde, nicht verlassen; nur in
ihr bleibt er der Abglanz des göttlichen VVesens, so dass, wer ihn
sieht, dem Vater in ihm sieht. Desshalb ist unbedingt die Auffas-
sung des weltrichtenden Erlösers, wie sie Cornelitis verzog, die
angelnessenste, die allein der Erscheinung und Idce des Sohnes
Gottes würdige. Diese Erscheinung ist zugleich Qßfenbarung der
ewigen Majestät, und es bedarf daher auch nicht eines besonderen
Bildes des Vaters, weil der Vater in ihm ist, und vollkom-
men, wahrhaft bleibend nur in ihm erscheint. Sie ist ferner aber
auch hinreichend, an und fiir sich selbst die Vorstellung des Ge-
richtes zu begründen und den Erfolg seiner Xiollzichung herbeizu-
führen, weil an ihr sich scheiden müssen die G-esinnungen und
Gedanken der menschlichen Herzen, weil sie selbst, wie lang es
noch Sünde gibt in der Welt des Vaters, die Kluft ist, welche das
Gebiet der Sünde von dem Reiche der Gnade und des ewigen Le-
bcns trennt. Indessen hat es dem denkenden Meister gefallen,
zwei Momente der Christusidee im YVeltgerichte, das der physischen
Macht im Vollzug der iiusseril Scheidung, und das des moralischen
Ernstes, WOClIIPClt die innere Vergeltung des Guten und Bösen in
dem Beifall und Vorwurf des Gewissens bedingt ist, nach einer bi-
blischen sowohl als kirchlichen Vorstellung, in zwei besondern
Gestalten hervortreten zu lassen, welche dasjenige, was in der Per-
son des Erlösers ideal vereinigt ist und von ihm durch die Iiraft
geistiger Mittheilungen und Aeusserungen ausgeht, in den beiden
Richtungen des innern Lebens und der äussern Zustiindeizilr Aus-
führung bringen. In dem streng blickenden Engel, mit dem geöff-
neten Lebensbuche vor der Brust, stellte der Meister allegorisch
das Gewissen dar. Er repriisentirt die innere Seite, ja das innerste
Wesen, den sittlichen Charakter des Gerichts. Dagegen eoncexi-
trirt. sich in dem zuunterst gestellten Erzengel der Ausdruck der
physischen Macht und des iiussern Vollzugs der Vergeltung. Mit
Recht ist die Darstellung der Macht, die in den heidnischen Re-
ligionen verwaltete, und auch im alten 'l'cstamente noch eine vor-
wiegentle Bedeutung, hat, der Idee der Heiligkeit untergeordnet
und diese beiden durch die Gestalt der Gnade beherrscht und über-
wacht. Auch ist die ruhige Bewegung des Erzengels in richtiger
Üebereinstimmung mit der Idee, in deren Auftrag er handelt, und
verliert dadurch keineswegs am Ausdruck nachhaltiger 'l"hatlsraift;
dass sie des leidenschaftlichen Charakters einer stürmischen Ileltig-
keit erinangelt, lässt sie vielmehr an ernster Bedeutung und bleiben-
der YViirde ewinnen (Iiunstblatt 1855).
Bei Darsteülungen dieser Art, wenn sie als das Letzte und für
die Ewigkeit Entscheidende betrachtet werden, streitet auf christli-
chem Gebiete immer der Dualismus der Idee, dass die Sünde nur