Cornelius ,
Peter,
VOII.
Bitter
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rauchenden Tiimmern der Burg untergehenden Königsfamilie und
der Eroberung der Stadt. Vorn zwischen den brechenden Säulen
des Iiönigsschlosses liegt Priamus todt niedergesunken, gelehnt an
die Leiche seines Sohnes Polites, das Schwert ltrampfhaft fassend.
Beide hat der wilde Neoptolemus getiidtet und so eben hat er auch
den lileinen Astianax aus den Armen der ohnmächtig zuriiclisinlien-
den Andromache gerissen, um ihn iiber die Mauer hinabzuschleu-
dern. Die herrliche Gruppe in der Mitte ist das Bild des Grauens
und der Verzweiflung. llier sitzt Heliuba, gleich dem Felsen, an
den sich nach Virgil ihre 'I'öchter, wie Tauben in Sturmeszeit
fliichten, voll Sehen , Schrecken und Angst. Ihre Ziige hat lialte
Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit erstarrt, sie erwartet weder
göttliche noch menschliche Hiilfe mehr, sie ist ein zu Stein ge-
wordenes Frauenhild. Ihre Töchter zittern jungfräulich vor dem
Anblick der Sieger und wehmiithig fleht zu Menelaus aufblickend,
Polyxena, die der Held an der Schulter berührt. In seinem Ge-
niiithe herrscht aber Unruhe, denn er sucht die, welche all das
Ungliich veranlasste, die Helena, welche ganz nahe bei ihm mit
aufgelilstem, reizvoll um Schultern und Arm sich ringelndein Haare,
in tiefem Schmerz 011 der Stittlß lehnt.
Uebcr alle diese Gruppen herrscht eine grossartige Frauengestalt,
Cassandra, die Seherin, die allein aufrecht gebliebene Iiönigstoch-
ter, welche den Fluch iiher das Haus der Atrirlcn anspricht" und
vergebens will sie Agnniemnon hindern, die Schicltsals-Vvurte zu
verkünden. In diesen Gruppen hat der Iiiiustler alle Schreckens-
zustiinde des menschlichen Lebens dargestellt: Furcht, Schrecken,
Angst, Ohnmacht und Tod, um in grossen Ziigen das Schicksal
des liiinigs Priamus und seines Hauses zu schildern. Ueber alles
ragt der Iiopf des unhcilschwwzmgern Pferdes herüber.
Die zwei Episoden rechts und links der Hauptscene sind der Chor
der griechischen Tragödie. Auf der einen Seite ziehen die andern
griechischen Helden das Loos um die Beute. Der alte Nester hält
den Helm mitden Loosen. Ulysses zieht eben das seinige und An-
tilochus und die andern warten mit Ungeduld, bis die Reihe sie
trifft. Auf der andern Seite triigt Aeneas seinen Vater Anchises mit
den Penaten durch Bauch und Flammen aus der Burg. Der kleine
Ashan trägt mit Mühe des Vaters Helm und schaut wehmiithig nach
dem zerfallenden Königshaus.
Die Ausinalung dieses Saales ward 1825 begonnen und 1850 ge-
endiget. Die Ausführung der drei Hauptgemälrle verdanken wir
Cornelius in Verbindung mit Schl0tthauei' und Zimmermann. Im
Angesichte des Bildes der Zerstörung Trojas erhielt der Iiiinstler
1826 vom Könige denCivilvrei-dienst-Orden der bayerischen Krone.
Im Friihsommer des Jahres 1830 hatte Cornelius seine Arbeiten
fiir die Glyptothek heexldigßt, und nun ging er an die Ausführung
der Cartons mit Darstellungen aus dem Gebiete der göttlichen Of-
fenbarung, die in der neuen Ludwigslsirche al frescu gemalt wer-
den. Iiönig Ludwig, der unserm Iiiiustler Gelegenheit i'm-schaffte
seinen Namen zu verewigen, wie dieses seit lVlichel-Angelu und
Rafael keinem mehr in dieser Ausdehnung zu Theil geworden,
fasste nämlich den Gedanken, ein christliches Epos in Bildern dar-
zustellen und er gründete zu diesem Zwecke eine eigene Iiirche.
Hier fasste der Iiiinstleu den Inhalt des allgemeinen christlichen
Glaubensbekenutnisses in wenigen Hauptmomenten zusammen. Iin
Gewölbe über dem Iireuz erscheint Gott als Schöpfer und Erhalter
der Welt und in drei Nischen des Chores und des Quer-Schiffes die
Menschwerdung Christi, sein Tod und das VVeltgericht. Im Chor-
gewölbe wird die Gemeinschaft der Heiligen durch den heiligen