Buonarotti ,
Michel Angele.
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ungegriindet seyn, aber im Ganzen möchte sich der Tadel als nich-
tig erweisen, wenn man auf den Ausdruck der über die Wirklich-
keit gehobenen Lebenskraft in den Gestalten des Künstlers Rück-
sicht nimmt, und diese Rücksicht dürfte auch bei dem Vorwürfe der
zu" heftigen Bewegungen seiner Figuren in Betracht ezogen werden
inussen. Denn die mächtigen Lebensregungen dersriiben sind nicht
lll. ihrer Angemessenheit zu gewöhnlichen Naturen, sondern zu dem
Iliesengeschlechte der Phantasie des Michel-Angelo zu betrachten.
Dass er in mehreren Fällen gesuchte und wirklich übertriebene Be-
wegungen zeigte, wird durch diese Bemerkung keineswegs geläugnet.
Die Nachahmer BuonarottPs verfielen in das Plnmpe, indem sie
sich bestrebten, seine Grossheit der Formen und Verhältnisse des
menschlichen Körpers zu erreichen. Um mannigfaltige Stellungen zu
zeigen wurtlen von ihnen die Gemälde mit überflüssigen und be-
ileutungsloseil Figuren angefüllt. Uebcrhaupt schien nun der Haupt-
vorzug der liuustvferlae in die Ucbersvindung technischer und wissen-
schaftlicher Schwierigkeiten gesetzt worden zu seyn, und daher
ward auch lVIichel-Jhigelo vornehmlich wegen Vorzügen dieser Art
so ungemeixrgepriesen und über alle Künstler alter und neuerer
Zeit erhoben. Namentlich rechnet man es ihm zum grossen Ver-
dienste an. dass er der Erste gewesen, der griissere Fliicheu mit ver-
hiiltuissmiissigen Figuren auszufüllen wagte, und dadurch die Iiunst
aus uihrer kleinlichen Schüchternheit emporgehoben. Allein die
Iiunst besteht nicht allein in Ausfüllung grosser Räume, ebenso
wenig als ihr Zivecla in Ausfüllung leerer Räume. Wer wollte es
den älteren tWIeistern zum Vorwurfe machen, dass in ihren Wer-
ken das Leben einfach, ernst ruhig und gediegen, mitkindlich
frommer Einfalt des Gemüths vor unsern Blicken sich aufthut?
Mit dem Breitthuil in den Formen und Geberden haben wir in.
der Folge nichts gevronnen, und namentlich bei der missverstande-
nen Nachahmung des Michel -Angelu.
Indessen machen Daniel da Voltcrra und Sebastian del Piombo
von dem gewöhnlichen Schlage der Nachahmer des lVIichcl-Angelo
eine ehrenvolle Ausnahme, und selbst Vasziri und Salviati und an-
dere Meister, in denen die missluugeuc Nachahmung besonders
auffallend erscheint, haben einzelne Werke hinterlassen von nicht
unbedeutenden Verdiensten.
Den Sebastian del Piombu {gebrauchte lYIichel-Jkngelo, uln Ba-
fael auch in Staffeleirgemiiltlen zu überbieten. Es ist indessen nicht
anzunehmen, dass Buonnrotli mit diesem Künstler in unedler
Ieindschaft gelebt habe, es finden sich im Gcgeiltheile Beispiele,
welche von der Achtung zeugen, die Michcl-Angclo seinem jün-
gern Nebcnbulilcr bewies. Er liebte überhaupt die Uelmalerei
nicht, und das Anniuthige, Zarte schien ihm in Rufhefs Gemälden
wcibisch, (vbglcich man auch NIiehel-Jhlgelu nicht jedes Gefühl für
Amnuth absprechen darf. Er hat dieses in seiner Eva bewiesen, aus
deren Gestalt mehr als menschliche Aumilth und Gi'z1r.ie spricht.
11.1" hat überhaupt seine Welt mit Wesen einer über uns erhabenen
Art ausgefüllt; es sind keine seltsamen Llebcrtreibungian menschli-
cher Foriuen, sondern Wesen, deren Grüsse ausdrnclisvoller ist,
als alle individuellen Charalatcrbiltluugen.
Rafnefs Manier war dem Michcl-Augelo nie erhaben genug, und
daher soll er bei seinem. Besuche in der Farncsitia, m," Rafael die
(lülülillß-l 11171153", gleichsam als liritili des Ilafuelischen VVerlacs, mit
Hohle einen Hiescnkopl" an die YVuncl (gezeichnet haben, den Ru-
fiiel stehen liess, wie er noch steht, und der eigentlich der l'o-
liphem ist, vor dem die schöne Nymphe entilieht. 0b dieser liupf