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Buonnrotti,
RIichelM
-rXngelo.
men, und daher auch für den Sinn durch mächtige Wirkung er-
greifend. In dem jüngsten Gerichte erscheint diese kunstvolle Be-
leuchtung allerdings nur in einzelnen Gruppen, denn eine allge-
meine Wirkung derselben i1n Ganzen hat er in diesem Werke
nicht versucht. i
Die Nähe der Meisterwerke Rafaeks und lVIichel-Angelxfs im
Vatikan hat zwischen diesen beiden Iiiinstlern öfter Vergleiehungen
veranlasst, die in den letztverflusseueil Zeiten gewöhnlich sehr
einseitig zum Nachlheile des letztgenannten Meisters ausgefallen
sind. Rafael zeigt allerdings einen weit vielseitigeren und umfas-
senderen Geist, Buonarotti ist unstreitig heschrl-inlatirr in dieser Be-
ziehung, aber noch ausserordenlliclier und idealer als jener.
Das Erhabene ist der durchaus vorherrschende Charakter seiner
Kunst. "Vermöge dieses Charakters möchte er freilich vielen Men-
sehen keinen Genuss durch seine NVerke versehalftwn, da erhabene
Gegenstände Aufschwung des Geistes und Erhebung über das sinn-
liche Daseyn bei dem Betrachter erfordern , und (lariun derjenige,
welcher von der Iiunst nur in angenehme Emplintlungen versetzt
zu werden Verlangt, allerdings in den VVerken dieses grossen
Iiiinstlers nicht die mindeste Befriedigung finden kann.
Im Ausdruck des Drainntisehen- luesass er keineswegs Ralaeks
Kunst. VVeit mehr als eigentlich historische Darstellungen glück-
ten ihm iibersinnliche Gegenstände, bei denen es nicht die Auf-
gabe der liunst seyn kann, sie an sich selbst darzustellen, sondern
nur der menschlichen Einbildungskiwift ein möglichst entsprechen-
des Bild von ihnen zu geben. Die Gegenstände der Schöpfung
von lVliehel-Augtzlt) in der sixtinischen Iiapelle sind von dieser Art,
und selbst die Darstellung des jüngsten Gerichtes, in dem das
Dramatische der Ilandlung dem Syuibolisehen eigentlich nur zum
Mittel dient. Auch gehören. dahin iiberhattpt die menschlichen
Bilder des ewigen Vaters! Denn die Bestimmung derselben kann
keineswegs seyn, das unendliche Wesen zur Anschauung zu bringen,
sondern nur die ldee desselben durch menschliche Gestalt anzu-
deuten, welcher der Iiiiustler den Ausdruck der höchsten sinnlich
darstellbaren Macht und Wiirtle zu geben sucht.
Wenn wir bei Rafael durch seinen umfassenden Geist. und durch
seine bewunderungswviirdige Iiunst im Ausdruck dramatischer Hand-
lung und des menschlichen Gemiiths an Shakespeare erinnert
werden, so dürfte sich in der ausgezeichneten Fähigkeit des Mi-
chel-Angelo, iibersinnliche Gegenstände zu schildern, Verwandt-
schaft zwischen ihm und dem Dante zeigen, mit dessen Geiste er
sich auf das Innigste vertraute und den er unter allen Dichtern
am meisten verehrte. Auch hat er in seinem jüngsten Gerichte den
Geist von Dante's Hölle bewunclerungswiirdig in die bildende
Iiunst übertragen, aber uns freilich dabei in das Paradies nicht
mit demselben glücklichen Erfolge zu führen gewusst. Die Ge-
genstände der Schöpfung sind nie so erhaben und bedeutend, wie
von diesem Künstler, dargestellt werden. Rafael suchte sie gerne
in die rein menschliche Sphäre zu versetzen. In seinem Gemälde
von der Schöpfung der Thiere hat Gott das Ansehen eines würdi-
gen _Hausvaters, und in dem Bilde von der Schöpfung der Eva er-
scheint derselbe als zärtlicher Vater, der dem Adam, wie seinem
Sohne die künftige Gefährtin seines Lebens zufiihrt. Michel-Jtn-
gelo hingegen strebte jederzeit die übersinnlichen lVirkungen des
ewigen VVortes durch sichtbare Handlungen zu versinnlicheil, und
scheint darin das Möglichste in seiner Iiunst geleistet zu haben.
Seine Vorstellungen des ewigen Vaters dürften die vollkommen-