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Buonarotti,
Michel Angela.
15.Jahrh.nahm, und in ihm gelangten alle früheren Keime der Schu-
len des mittleren Italiens zur höchsten Entwicklung. Auch Buonarotti
hätte die Meisterschaft, die ihm vielleicht noch in einem höheren
Grade, als dem Rafael, obgleich minder vielseitig, zugeschrieben wer-
den kann, ohne die his auf seine Zeit gemachten Fortschritte in Tech-
nik und VVlSSEDSClIZIflI, nicht erreicht, aber von der ihm ganz eigen-
thümlichen Kunstrichtung dürften sich bei früheren Künstlern nur
sehr geringe Hindeutungexl auffinden lassen. In der Plastik ent-
fernte er sich bald von Donatello's Styl, und auch seine Gemälde ent-
fernen sich von der Weise Ghirlandajifs. Eben so wenig iiusserte
sein Studium der Werke Masaecids einen Einfluss aufseine Bildung
und unter allen seinen Vorgängern ist es nur Luca Signorelli, der
durch die besondere Vorliebe für die Darstellung des Nackten ei-
nige Annäherung zur Kunstrichtung des Michel-Angelo zeigt. Für
diesen Meister hatte Buonarotti auch besondere Achtung, die er
vornehmlich dadurch bewies, dass er aus dem jüngsten Gerichte.
welches Luca im Dome zu Orvieto malte, einige Figuren für das
seinige entlehnte; doch dürften zu dem eigentlichen Charakter sei-
ner nackten Formen keine Hindeutungen in dem Style des Signu-
relli zu finden seyn. Am meisten möchten wirohl die Antiken auf
den Michel-Angelo gewirkt haben. Nur diese konnten seinen
hohen Forderungen von plastischer Vollkommenheit entsprechen;
nur mit ihnen konnte er sich geneigt zum Wetteifer fühlen und
durch dieselben seinen angebornen Sinn für ideale Formen bele-
ben; doch hat er sie keineswegs nachgeahmt, sondern auf seinem
eigenen Wege eine ihnen gleiche Ausbildung des Plastischen zu er-
reichen gesucht. Sein Styl ist auffallend von dem der Antike ver-
schieden.
Während wir also die Kunst RafaePs in ihrer Entwicklung aus
jener der früheren Jahrhunderte verfolgen können, steht die Kunst
des lVIichel-Angelo gleich bei ihrem ersten Auftreten eigenthiimlich
da, und wir sind fast aller Mittel beraubt, die Verbindung zwi-
schen dem, was ihm vorangegangen, und was sich nun aus dem-
selben gestaltet hat, nachzuweisen. lVIichel-Angelo kann vielleicht
mit mehr Ilecht, als ein anderer Sterblicher, ein Biesengeist ge-
nannt werden, und wenn man oft die Behauptung hören muss,
dass er den Verfall der Kunst herbeigeführt habe, so kann man
es in dem Sinne zugehen, in welchem man wohl auch sagt, dass
Perikles Athen seinem Üntergange entgegengeführt habe.
lVlichel-Angelds Styl bezeichnen einfache Grösse und Erhabenheit,
und seine lliesengrösse offenbart sich in einer von Rafael durchaus
verschiedenen Form und Bewegung. 'Sein Hang zum Ausserordent-
lichen und wunderbaren, sein tiefes gründliches Studium der Ana-
tomie, wodurch er sich mit dem ganzen Getriebe des menschlichen
Körpers auf das Innigste vertraut machte, und vollkommene Si-
eherheit und Richtigkeit in der Zeichnung erlangte, konnten sich
nur im Colossalen versinnlichen. Durch ihn erreichte die Schule
des mittlern Italiens den höchsten Gipfel ihrer ursprünglichen Rich-
tung auf Form und Linie, den kühnsten, früher nicht geiahneten
Schwung.
Den Ausdruck der Seele hat lVIichel-Angelo nicht selten bewun-
derungswürdig, hingegen auch zuweilen unbestimmt und auch
wohl ganz verfehlt gezeigt, wie vornehmlich in mehreren 'I'heilen
des jüngsten Gerichtes. Er kann daher im Ganzen in diesem
Theile der Kunst dem Rafael nicht gleichgestellt werden. Auch
scheinen zuweilen die Physiognomien seiner Köpfe dem grosscn
Charakter der übrigen Gestalt nicht vollkommen zu entsprechen,
wie unter andern der Kopf der herrlichen Figur des Adam auf