ßuonarotti ,
Michcl
MAngclo.
Recht vorzüglich bewunderte Gruppe ist gewöhnlich unter dem
Namen der sieben Todsünden bekannt. Das gewaltige Leben, die
Kühnheit der Bewegungen und Verkiirzungen, die das Höchste
zeigen, was Meisterschaft der Zeichnung zu leisten vermag, sind
hier dem Gegenstande angemessen, und dienen zum Ausdruck des
Schrecklich Erhabenen.
Der Gegenstand der untersten Hauptgruppe auf derselben Seite
ist aus Dante's lIölle entlehnt. Man sieht die hier mit Drachen-
fliigeln vorgestellte Barke, in der die Verdammten, von Charon ge-
führt, zum jenseitigen Ufer des Acheron gelangen. Hier erhebt
sich unter den I-iüllengeistern Minus als Richter, um den Verdamm-
ten den Iireis der llölle nach VerhZ-iltniss ihrer Sünden zu bestim-
men. Die Darstellung ist nicht minder bewunderungswürdig, so-
wohl in der Zeichnung und Composition, als im Ausdruck der
unendlichen Qual des bösen Gewissens, und der dumpfen Verzweif-
lung der Verdammten, die hier entsprechend erscheinen, gleich den
erschütternden Versen des Dichters, mit denen er ihren Zustand
bei der Fahrt über den l-löllenfluss schildert.
Das Gesicht des Minos ist das Bildniss des Ceremonienrneisters
Paul's IIL, Biagirfs von Cesena, der von Michel-Angelo hier als
Höllenrichter vorgestellt wird, weil er, als der Pabst dieses VVerls
in Augenschein nahm, und in Gegenwart des Iiüilstlers von ihm
seine Meinung darüber yerlangtß, ßS wegen der Nacktheit der Fi-
guren, als unsclnchlich fnrueinen zum Gottesdienst bestimmten Ort,
sehr bitter tadelte. Der Künstler hat ihn mit längeren Ohren als
die übrigen Teufel begabt, und dem Schweife, mit dem er sich
beim Dante umwintlct, die Form einer Schlange gegeben, die ihn
in die Schaam heisst.
Auf den 'l."adel der Nacktheit nahmen die Päbste keine Rücksicht,
bis auf den wenig kunstliebenden Paul IV., der das ganze Werk
vernichten lassen wollte, nachdem der Iiünstler sich geweigert
hatte, Gewänder über die zu nackten Figuren zu malen. Zum
Glück ward von einsichtsvollen Männern die Sache dadurch ver-
mittelt, dass Daniel von Volterra die besonders anstiissig scheinen-
den Blössen der heil. Catharina und des heil. Blasius mit Gewän-
dern bedeckte, was dem Künstler den Beinamen des Hosenmachers
(braghettone) erwarb.
Auch Gregor XIII. fasste den Vorsatz, das Gemälde herunter zu
schlagen, und an dessen Stelle den" Gegenstand von L. Sabbatini
malen zu lassen.
Im verflossenen Jahrhunderte liess Clemens XIII. von St. Pozzi
ebenfalls Gewänder über die Blössen einiger Figuren malen.
Ausser dem Vorwürfe der Unschicklichkeit der nackten Figuren,
wurde Michel-Angclo auch die Anwendung heidnischer Ideen in
einem christlichen Gegenstnnde zum Tadel gemacht, nämlich die
Vorstellung der Ueberfahrt der Seelen über den Aeheron, und des
Charon und lVIinos. Michel-Angelo folgte hier dem Dante, der
zur Allegorisirung und Versinnlichung christlicher Ideen den My-
thos des heidnischen Alterthulns in den Charakter des Christenthums
umgestaltete. So sind Charon und Minus beim Buonarotti wie
beim Dante keineswegs die Gestalten dieses Namens in der alten
Götterwelt, sondern 'I'eufel, die dasselbe Amt in der christlichen
Hölle verrichten, welche die so benannten mythologischen Perso-
nen i11 der heidnischen Unterwelt ausiibten.
Eine ausgezeichnete Copie dieses Werkes, die Michel-Angelo
von Marcello Venusti für den Cardinal Alexander Faruese inOel
malen liess, kam aus dem farnesischen Pallaste zu Rom in das k.
lYluseum zu Neapel. Anderer Copien erwähnt Fiorillo I. 57g.