Buonarotti ,
Michel
.Ange1O_
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M. Lndovico Dolce, intitolato PAretino. Darin wird behauptet,
dass er die Frauen und Iiinder ohne die ihnen angemessene Zart-
heit bildete, dass man in seinen Figuren keine individuelle Man-
nigfaltigkeit bemerke, und dass er sich einzig dem Studium des
Nackten mit Vernachlässigung der Gewänder befleissigte. Von sei-
nem Culorite wird, wie in neueren Iiunstbiichcrn, als von etwas
gesprochen, von dem gar nicht die Rede seyn könne. Eine andere
Kritik, die bald nach jener 156d in den Due dialoghi di WI. Gilio
da Fabriano erschienen, verdient wenig beachtet zu werden, da.
der Verfasser in derselben höchst verkehrte Begriffe von dem We-
sen der Iiunst verräth. Er tadelt in diesem Werke die fliegenden
Haare und Gewänder, weil am jüngsten Tage die Himmel ihre Kraft
verlören und Winde und Ungeivitter aufhörtcn; dass die Engel,
die durch den Schall der Posaunen die Todten erwecken, in eine
Gruppe gebildet sind, da sie doch nach den Worten der Apoka-
lypse an den vier Theilen der Welt erschienen; dass Engel mit
'I'eufeli1 sich um die Seelen streiten, obgleich die Macht des Luci-
fcr am Tage des Weltgerichtes zu Ende ginge u. s. w.
Auch in den schriftlichen Aufsätzen des bekannten Malers F.
Albani findet man einige kritische Bemerkungen über dieses be-
rühmte Werk. Er tadelt nicht ohne Grund den unbestimmten
Ausdruck mehrerer Figuren, indem er sagt: Ich spreche nicht von
einigen Figuren, von denen man nicht weiss, was sie thun. Wollte
man insbesondere Jede diess fragen, wenn sie belebt wäre, und zu
antworten vermöchte, so würde sie sagen können: ich bin eine
Figur, die vergebens da ist, und weiss auch, dass Iiafael mich wohl
besser und nie miissig gestellt haben würde. Felsina pitt. IV. p. 255-
Unter den späteren Schriftstellern scheint vornehmlich Richard-
son auf die im letztverflussenen Jahrhundert herrschend gewesene
Ansicht von diesem Gemälde Einfluss gehabt zu haben. Er spricht sein
allgemeines Urtheil dariiber mit folgenden Worten aus: „Es würde
ein vortreffliches Bild für eine Zeichenakademie seyn, aber nicht
um das jüngste Gericht darzustellen. In diesem Betracht ist es
monströs und unangenehm." Ein solches Urtheil verräth, nach der
Ansicht der gelehrten Verfasser der erwähnten Beschreibung
Roms, eine völlige Unkenntniss von der Idee desselben, des-
sen Gegenstand bei verfehltem Ausdruck einiger Gruppen und Fi-
guren doch im Ganzen mit grosser Tiefe des Geistes aufgefasst,
und auch zum Theil uniibertreliilich dargestellt ist.
Fiorillo in seiner Geschichte der zeichnenden Künste I. 564, be-
merkt mehrere, grösstentheils jedoch schon von Andern angeführte
Mängel, zeigt aber dabei ebenfalls eine sehr mangelhafte Einsicht
von der Idee und der Ansicht des Künstlers bei der Darstellung
seines Gegenstandes. Er sucht zugleich die Behauptung einiger
von ihm nicht genannten Schriftsteller zu widerlegen, dass Pietro
Aretino dem Künstler die Idee zum jüngsten Gericht angegeben
habe. Michel-Angelo besass selbst so viele theologische Kennt-
nisse, dass er keiner fremden Beihiilfe zur Erfindung dieses Ge-
genstandes bedurfte. Er war in der heil. Schrift sehr bewandert,
und Qantäs göttliche Comiidie wusste er fast auswendig. Aretino
Ware indessen bereit gewesen, dem Buonarotti durch eine Schil-
derßng flQS Gegenstandes entgegen zu kommen, wie dieses aus sei-
nellyßvlßfe vom 15. septembefiss7 (Im. pitli. III. 32, lett. di P.
Arclltlü 1- 155) an Michel- Angelo erhellet; allein Buonarotti drückte
in semcr Antwort (lett. pitt. II. lt) das Bedauern aus, dass er Are-
timfs Idee in seinem schon griisstentheils vollendeten Werke nicht
mehr benützen könne, was vielleicht nur als ein Compliment zu
betrachten ist.
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