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Buonarptti ,
Michel
Angeln.
genständen. Man sieht hier in seiner Darstellung ein lebendigei
Bild dieser schrecklichen Scene.
Von ausgezeichneter Vortreiflichkeit sind die Figuren der Vor-
fahren des Heilandes, die der Künstler durch Familiengruppen an-
gedeutet hat, ohne sie bestimmt charakterisirexl zu wollen. Er hat
hier seine Gestalten, mit Ausnahme der linaben, bekleidet vorge-
stellt, und dabei seine Kunst in den Gewändern auf eine vorzüg-
lich glänzende Weise gezei_t.
Die Propheten und Sibjülen hat Volpato gestochen, und sechs
G. Ghisi 1540. Einige Deckengemälde wurden von Cunego für die
Scola italica in Iiupfer ebracht.
Das grüsste von Miäicl-Angelrfs Bildern der Sixtina ist die
Darstellung des jüngsten Gerichts. Es begreift, mit Ausnahme des
Sockels, die ganze hintere VVand, und misst eine Höhe von 60,
und eine Breite von 50 Fuss. Den Auftrag zu diesem Bilde er-
hielt er von Clemens VII., aber unter der Regierung dieses Pabstes
brachte der Künstler nur die Cartons zu Stande. Die Vollendung
des Bildes erfolgte erst über sieben Jahre darauf im Pontilicate
Paul III., im Jahre 1541, und am Weihnachtsfeste erschien es zu-
erst vor den Augen des Publikums. Michel-Angelo zählte bereits
60 Jahre, als er diese Arbeit unternahm, und diesem vor_ erüclttcn
Alter ist es vielleicht zuzuschreiben, dass er um so viel längere
Zeit brauchte, als zu den Deckeiibildern. Auch trieb ihn die iUn-
geduld des Pabstes nicht zur Eile, und daher konnte er diesem
.Werke eine grössere Vollendung ertheilen. Vasari bewundert die
besonders fleissige Ausführung, die, wie er sagt, von keiner Minia-
turinalerei je übertroffen ward.
Die unteren Gruppen haben sehr durch die Zeit gelitten, und
das Ganze deckt eine finstere braune Patina. An einigen Stellen
ist das Colorit gänzlich zerstört.
Die Kühnheit des Gedankens dieses in seiner Art einzigen Ge-
mäldes, die Mannigfaltigkeit der Bewegungen und Ansichten der
fast unzähligen Figuren, die ungerneine Meisterschaft der Zeich--
nungy insbesondere in den ausserordentlichsten und schwierigsten
Verkürzungen, erregten bei der Erscheinung desselben eine solche
Bewunderung, dass es die vorherrschende Meinung nicht allein
für das Meisterwerk des Michel-Angelo, sondern der Kunst über-
haupt erklärte. Dieses spricht Varchi in seiner bei den Exequicn
Michel-Angelds gehaltenen Leichenrede aus, und auch Vasari ist
in der Lebensbeschreibung dieses Künstlers derselben Meinung.
Allein besonders seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts zieht
man allgemein die DBCliGIIbilClCF jenem kolossalen Gemälde vor.
Indessen hat schon Lornazzo gegen das Ende des 16. Jahrhunderts
diese Meinung geäussert. Derselbe erklärte den Styl der Decken-
gemälde für den schönsten des Michel-Angelu. In unserem Zeit-
alter hat diese Ansicht zuerst Fernow im III. Bande des deutschen
Merkurs 1795 geiiussert. Fiorillo I. 552 erklärte darüber seine
Missbilligung. Auch in Göthcfs Winclielrnann und sein Jahrhun-
dert liest man eine missbilligende Aeusserung dieser Behauptung,
so wie gegen die Meinung, nach welcher den Malereien des Mi-
chel-Ange o der Vorzug vor seinen Bildhanerarbeiten ertheilt wird.
Indessen erhob sich schon bei den Lebzeiten des Künstlers auch
die Stimme der Kritik dagegen, und später behielt anstatt jener
übertriebenen, auf einer einseitigen Ansicht beruhenden Lobeser-
hebung, ein eben so einseitiger und verliehrter Tadel bei der
ljeurtheilnng desselben viillig die Oberhand.
Die ersten kritischen Bemerkungen über dieses Werk erschienen
in der 1557 herausgeliommenexi Schrift: Dialoge della pittura di