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Bnonarotti ,
Michel Angela.
Das zweite dieser Werke ist die unvergleichliche Madonna mit
dem todten Christus (Pietät) im St. Petersdorne zu Rom. Sie steht
über dem Altare der ersten Kapelle des rechten Seitenschiffes, und
gehört zu Michel-Angehfs vorziiglichsten Bildhauernrei-laen, ob-
gleich er die Gruppe schon in seinem 25. Jahre verfertiget hatte.
Der Künstler hatte sich damals noch nicht von dem Typus der
christlichen Kunst, wie in seinem höheren Alter, entfernt, und
daher erscheinen hier der Ileiland und die heil. Jungfrau ihrem
Charakter angemessen. Auf dem Gürtel der Mutter Gottes hat er
seinen Nameneingegraben, den man auf keinem seiner übrigen
Werke findet. Dem Vasari zufolge that er es hieraus dem Grunde,
weil man einen Andern als den Meister dieser Gruppe genannt
hatte. Sie ward auf Kosten des Cardinals Jean de la Grolaye de
Villiers, Abts von St. Denis, für die Kirche S. Petronillzi verfcrti-
get. Nach der Zerstörung derselben unter Julius II. kam sie zu-
erst in die Kirche S. Maria della febbre und zuletzt 17.19 in die
bezeichnete Kapelle, die zuvor Capella del Cruciiisso, dann aber
Capella della Pieta genannt wurde.
Ueber den Namen des Stifters dieses Kunstwerkes ist bedeutende
Verwirrung entstanden. Vasari nennt ihn Cardinale di S. Dionigi,
chiamato il Cardinale ROVIIIIU, und Condivi schlechtweg il Cardi-
nale Bovano. Mariette (Observat. sur la vie de Michel-Ange) im
Anhange zu der Lebensbeschreibung dieses Künstlers von Condivi
behauptet dagegen, dass de la Grolaye de Villicrs, der im Jahre
1493 als Gesandter Carl's VII. bei Alexander VI. von diesem Pabste
die Cardinalswiirtle erhielt, und dann diese Gruppe von PvIichel-
Angelo verfertigen liess, nicht der Cardinal von Runen genannt
wird, sondern dass diesen Namen der Cardinal (lizklllljüßß führte,
welcher diese Würde 1.193 erlangte. Varchi (Oraz. funeb. dem
Torrigi folgt, nennt den Cardinal VVilhelm Brissonet, von ihm
ebenfalls der Cardinal von Rouen genannt, als denjenigen, dem
man die Entstehung dieses VVerkes verdankt. (Neueste Beschreib.
Roms von Platner, Bunsen etc. II. I. Abth. 182).
Diese Pieta hatte dem Künstler bereits einen berühmten Namen
gemacht; aber erst zu Ende des 15. Jahrhunderts, bei seiner Huck-
kehr von Rom nach Florenz, betrat Buonarotti eine Bahn der
Ehre, auf welche ihn ein edler VVetteifer und der Zusammenfluss
günstiger Elmstiinde geführt hatte. Als im Jahre 1500 Franz Sforza
gestürzt und Mailand von den Franzosen besetzt wurde, wanderte
auch der berühmte Leonardo da Vinci aus dieser Stadt, und trat
hier als gereifter Meister dem geistvollcn jungen Anfänger in der
Kunst entgegen. Beide fühlten ihre gegenseitigen Vorzüge, und
begannen den edlen Wettstreit, in welchem sich die VVaagschale
zu Gunsten Michel-Angelo's neigte. Ein grosser Marmorblock,
dem Simon da Fiesole, ein Bildhauer zu Florenz, vergebens eine
menschliche Gestalt zu gehen getraehtet hatte, lag seit mehr als
hundert Jahren unbenutzt da, und Jedermann glaubte, es sei nichts
mehr daraus zu machen. Der Rath von Florenz wünschte diesen
in ein Ehrendenlamal der Kunst verwandelt zu sehen, und forderte
mehrere Künstler, und darunter auch Leonardo und Michel-Ail-
gelo, auf, sich daran zu versuchen. Da Vinci, ein geübter-er Ma-
ler als Bildhauer, wollte nicht daran, und behauptete, es lasse sich
nichts daraus machen, wenn man nicht Stücke ansetze; allein ge-
rade die Schwierigkeit reizte den Buonarotti, und er unternahm
es, ein Ganzes aus dem Blocke zu bilden, so wie er war, und
zwar das schöne colossale Standbild Davids, welches der Rath
nachher vor der Pforte des Justizpallastcs aufstellen liess. David
ist jung und nackt, als Hirtenknabe mit der Schleuder dargestellt.