Bnonarotti ,
Michel Angele.
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Zn dieser Zeit zog der Prior der Kirche S. Spirito den Künstler
an sich, und gab ihm eine Wohnung im Convente, denn er liess
durch ihn ein hölzernes Crucifix verfertigen. Zugleich gab er ihm
die hlittcl an die Hand, Anatomie vom Grunde aus studieren zu
liÖHHCn, indem er menschliche Cadaver lterbeibringen liess. Nun
versenkte sich NIichel-Anvelo zwölf Jahre lang in die Zerglicde-
rungsltunst, und grub in dseichnamen dem Leben und der Schön-
heit nach, (lass er darüber selber fast zur Leiche ward. Furchtbar
ist seine Ilantlzeichnting, die bei dütgincourt, peinture tav. 190,
abgebildet ist. Eine Leiche liegt da, der ein Licht in der Herz-
grube stecltt. Ein Zergliederer wühlt tief in der Brusthöhle, und
ein anderer mit dem Cirltcl in der Hand hilft ihm, beide so ge-
spenstig wie ihr Leichnam. In der Florenzer Sammlung ist noch
das Modell eines geschundenen lYIeuschen, die Anatomie des Mi-
chel-Angelx) genannt. Darnach soll der geschundene Bartolomiius
im Mailänder Dom gemacht scyn.
Buonarotti spiirte überhaupt der menschlichen Gestalt und den
Erscheinungen des Lebens auf allen VVegen nach. So geht die
grauenvolle, alte Sage, dass der Iiiinstler, um einen Geltreuzigten
recht nach dem Leben zu bilden, einen Menschen Wirklich ans
lireuz geschlagen und sterben lassen habe. Zur Ehre Buonar0tti's
wird dieses wohl nicht mehr als Sage seyn, denn es findet sich
lscin historisches Zeugniss, dass denselben einer so griisslichen
That anlalagt. Vielleicht mag sein {insteres VVescn auch mit Theil
an dieser Bcschuldigting haben. Durch solche Studien wurde Mi-
chel-Angclt: Meister aller Zeichner. Als Jemand seine Kunst
darin versuchen wollte, zeichnete er mit der Feder eine gewaltige
IIand, die lilane des Iiiwen. Diese Ilandzeichnung ist in der
Mailänder itusgabc des Vasari XIV. p. 51 gestochen.
Im Jahre 1:194, litlfZ vorher, ehe Peter von lYIerlici aus Florenz
vertrieben wurde , hatte auch Tvliizhel-Angelo aus Furcht vor dem
nahenden Sturmc seine Vaterstadt Verlassen. Nach einem kurzen
fruchtlosen Besuch in Venedig liess er sich in Bologna nieder, und
zeigte sich hier nicht blos als Iiiinstler, sondern auch als gebilde-
ter Freund der schönen YVissenschaften. Er las Dante, Petrarca,
Bocraccio und andere toscanische Dichter mit Begeisterung; Sein
llatuswvirtlt Altlrtrvantlini erhebt besonders das Vergnügen , das er
durch die Vorträge des liiinstlers genoss.
Als Peter Soderini an die Spitze der Regierung getreten war,
kehrte lVIichel-Angelo nach Florenz zuriiclt, und arbeitete da für
Lorenz Peter Franz von Medici an einer marmornen Bildsiiule
des Johannes, deren Spur die Verehrer seiner liunst bisher noch
nicht linden konnten. Um diese Zeit vollendete er auch den schla-
fenden Cnpido in Marmor, und vergrub ihn eine Zeit lang unter
der Erde, um ihm ein antikes Ansehen zu geben. Später wurde
er wirklich als antilt an den Cardinal Rafael Ftiario verkauft, allein
dieser erfuhr den Streich, und gab das Bildwerlt, dessen Werth er
nicht zu schützen wusste, dem Künstler zuriiclt. Obgleich durch
diesen Vorfall als Iiunstltenner beschämt, lud er doch bald nach-
h" den Künstler nach Rom ein, und behielt ihn ein Jahr bei sich,
übel: Ohm! ihn auf eine würdige Art zu beschäftigen. Dennoch
VQfllCSS Buouarotti Rom nicht, ohne glänzende Proben seiner Kunst
hinterlassen zu haben. Darunter ist der berühmte Bacchus, den
er fur einen römischen Patrizier, Jakob Gatti, verfertigte, und der
nachher nach Florenz kam. "Der Gott ist mit Yveinlaub lIN-Iläräfllts
hält die Schale in der Hand, ein Bild von grosser Weichheit und
fast trunhener Jugendfülle. Dieses ist eines der unbetangenstßn
Werke BuouarottPs, in welchem er der Antike am nächsten blieb.