Anton.
Allegri 0
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mehr zu denken erheischt, als man mit Augen sieht, und nur er-
freuen will.
Ueber den Charakter, der in den Werken dieses grossen Iiiinst-
lers herrscht und die Grazie, welche man in denselben bewundert,
handelt Domherr Speth, ein erfahrner Iiunstkenner, der selbst
die Malerei mit schönem Talente iibt, in seinem Werke: Iiunst in
Italien I. 88 ff. mit eindringender Iienntniss. Dieser Schriftsteller
kann den fast allgemeinen unbedingten Huldigungen der Correg-
gidschen Grazie nicht beistimmen. Allegri hielt sich, sagt er," nicht
allzeit und streng an die Grenzlinie, iiber welche hinaus sich die
Grazie also bald in eitle Ziererei, Affelitation und zwangvolle Ge-
behrdung verliert, und in das Manierirte geht, und nicht mehr,
wie die Anmuth zum Gemiitbe dringt, sondern es von sich abstiisst.
Manche Iiüpfe auf seinen Bildern , Arme, I-Iiiilde, oft bis zu den
iiussersten Fingerspitzen, sind in ihrer Lage und Stellung zu an-
spruchsvoll, zu geziert, die Bewegungen sind nicht mehr zufällig,
die Gestalt ist gratiiis, weil sie es seyn. will, und damit. auch ihr
Zauber verschwunden. Niemand, fahrt Speth fort, wird in einem gros-
sen breit gezogenen lNIunde etwas Gratiiiscs finden, und ein Lä-
cheln fiir Aninuth halten, das offenbar übertrieben und unaruge-
nehme Verzehrungen der Gesichtsmuskeln hervorbringt. Und doch
ist so manche weibliche Physiognomie auf Correggiifs Bildern da-
durch entstellt und den Gesichtszügen seiner Iiiniler aller Reiz be-
nommen. Allegrfs Hauptaugenmerk war überall auf die Grazie
gerichtet und der Ausdruck ging ihm darüber verloren. In seinen
Gestalten spiegelt sich nicht das verborgene Leben und die Schönheit
der Seele, die Grazie ist ihnen nur von aussen angebildet, wäh-
rend sie dem Rafael wie von selbst entstand, da er überall. nur
und vorzüglich den Ausdruck beabsichtigt hat.
Speth glaubt es sei lediglich nur den schwankenden Begrihfen,
welche Richardson von der Grazie hatte, zuzuschreiben, wenn er
den Corrcggio selbst dem Rafael gleichsetzt, wo nicht gar vor-zieht,
(Traitö della peinture Ill. 679). Im Erhunstelten der Grazie räumt
er ihm wohl den Vorzug iiber den Meister von Urbino ein, die-
ser war aber dem Allegri in der Natur und VVahrheit, wvomit er
sie bezeichnet, weit überlegen. Erlaiinstelt ist jedoch Correggio
nur in seiner bliihendsten Epoche; in seiner ersten Zeit, wo er
noch dem strengeren Style älterer Schulen mehr gehuldigt hat; wo
er noch nicht gratiös scyn wollte, da war er es wirklich. Das Al-
tarblatt zu München, das des liünigs Ludwig Majestät als Iiron-
Prinz aus Co'rreggio's früherer Iiunstperiode an sich brachte, ist
unserm Schriftsteller ein offenbarer Beleg dieser Behauptung.
Glücklicher ist Correggio in den Wirkungen des I-Ielldunliels ge-
wesen. Er zeigt sich allenthalben gross in der Behandlung des
Lichtes und Schattens, in ihrer rnanigfaltigen Beziehung, Abstufung
und Verschmelzung. Zuerst müssen wir ihn, wie Speth mit Ilecht
behauptet, in diesem Theile der Iiunstfertigheit und- vor allem da-
rin am meisten bewundern, wie er mit Hiilfe desselben durch die
verschiedenen Grade von Tinten und ihrem alhniihligen Uebergang
vom höchsten Lichte zum tiefsten Schatten, und von da wieder
zum Reflexe, jede einzelne Form frei hervorgehoben und ihr eine
tiiuschende Rundung gegeben hat. Im Nackten ist und bleibt er
nniibertrefflich. Seine Behandlung verbindet Glanz mit Grösse und
VVahi-heity sie ist leicht, ungemein zart und reizend. Dann ge-
lang es ihm auch nicht weniger in der Zusammenstellung der 'l'l'ieile,
sie durch wohlgeortlnete Licht- und Schattenmassen und deren stu-
fenweise Verstärkung nach dem Grade der Niihe oder Entfernung
des Gegenstandes , verständig auseinander zu halten und wieder in