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Kultus.
der Fromme nicht sowohl durch ein Gebet als durch die
Aufstellung eines W eihge s c h enk es Ausdruckzu verleihen.
Oft war ein solches zuvor in bedrängter Lage der
Gottheit gelobt worden, so dafs die Einlösung des ge-
gebenen Versprechens auch ohne das Gefühl der Dank-
barkeit erfolgen konnte; aber gewifs eben so, oft erfolgte
die Schenkung ohne vorausgegangene Verpflichtung aus
freiem Antriebe nach Erreichung eines erwünschten Zieles.
Insbesondere bei den Griechen erfreute sich die Sitte,
den Göttern Weihgaben zu bringen, einer aufserordent-
lichen Verbreitung. War doch die grofse Masse aller
Gegenstände, die sich in einem heiligen Bezirke befanden,
durch freiwillige Schenkungen dahin gekommen. Auch die
bescheidene Gabe des armen Mannes, selbst wenn sie
keineswegs zur Verschönerung des Heiligtums beitrug,
wurde vom Gotte nicht verschmäht. Der Handwerker
weihte das Werkzeug, das ihm gedient hatte, der Bauer
den Pflug, der ihm Segen gebracht, der Wanderer wohl
auch sein Bündel, wenn er glücklich ans Ziel gelangt
War der Genesene legte dankbar ein wenn
auch noch so bescheidenes Abbild des Körperteiles, an
welchem die Krankheit gehaftet hatte, im Tempel nieder
(15,7-13). Noch zahlreicher aber waren diejenigen
Weihgaben, die nicht blofs bestimmt waren, die Gott-
heit zu ehren, sondern auch dem Heiligtume als wirk-
licher Schmuck zu dienen, von dem schlichten Kranze
oder der heiligen Binde Womit in stiller Feier
das Götterbild umwunden wird, bis zu dem Pracht-
gewande, das ihm in feierlichem Zuge die ganze Stadt
darbringt von dem kleinen Bildtäfelchen (15,20;
55, 7) oder der schlichten Thonplatte (15, 19), die die TOhe
Darstellung der Gottheit trägt, bis zu dem ehernen Riesen-
standbilde, das im Auftrage der Gemeinde aus der Beute
eines gewaltigen Sieges von einem Phidias gebildet wurde